Auf Anfrage hin hat mir meine Mutter eröffnet, dass ich die ersten vier Lebensjahre ab dem 3 Monat im Kinder-Wochenheim der DDR war.
Das war also damals eine ideologische und logistische Maßnahme zur Befreiung der weiblichen Arbeitskräfte von der Mutterschaft.
Jetzt kann ich alle meine weirden Macken dahin schieben.Tatsächlich hat
frühkindliche Säuglingsheimverwahrung weitreichende Auswirkungen auf
die Persönlichkeitsentwicklung (eben Hospitalismus), wobei es durchaus
Überschneidungen mit Autismus und ADS gibt (Kommunikationsstörungen,
fehlerhafte Mimikinterpretation, Ablenkbarkeit, Festhalten an
Gewohnheiten).
Hervortretend sind aber im Gegensatz zu diesen: Angststörungen,
Bindungsprobleme bis zur Unfähigkeit, Empathieminderung, Überanpassung,
ausgeprägte Selbstständigkeit (niemanden brauchen, "Scheinbare Selbstständigkeit"), niedriges
Selbstwertgefühl, gestörtes Gefühlsempfinden (deswegen psychosomatische
Probleme).
Ein Teil davon entsteht, weil der Stress Botenstoff Cortisol die Verarbeitung von inneren und äusseren Wahrnehmungen in verständliche Gefühle blockiert. Durch fehlende oder negative Spiegelung der Bezugsperson entsteht ausserdem möglicherweise "toxische Scham", bei der man sich als "falsch", "abstoßend", "wertlos", "überflüssig", "anders" und "nicht zugehörig" empfindet.
Ich nehm natürlich auch gleich, sowie auch viele andere Wochenkinder,an einer Psychostudie der Uni Rostock
teil, sollen ja auch ein paar Doktoranden was von meiner Macke haben.
http://wochenkinder.de
Ich habe es erst jetzt komplett erfahren, vorher war ich nur von einem Jahr Wochenkindergarten ausgegangen. Ich habe kaum Erinnerungen daran, da war ich zu klein. Nur wenige Bilder. Scheint also nicht so spannend gewesen zu sein.
Ja, man bleibt dabei die ganze Arbeits-Woche im Heim, auch nachts. In einem Schlafsaal mit vielen anderen Kindern und einer Aufsicht.
Grausam ist nicht das Heim ansich, es ist sogar ganz nett da. Fehlt nur
die persönliche Zuwendung. Jedes Kind bekam pro Tag durchschnittlich eine halbe Stunde Aufmerksamkeit von einem Erwachsenen. Es ist eine Art schmerzlose (weil man sich
nicht daran erinnert) Operation, nachder man nicht mehr richtig fühlen
kann oder man selbst ist. Wie im Buch „Der Goldene Kompass“ mit den
Kindern und ihren Tierdämonen. Die DDR an sich war nicht für alle Kinder
schlecht. Nur für die die Pech hatten.
Wütend bin ich,
aber eher diffus. Nach all der Zeit kann man das an niemandem mehr
auslassen ausser meiner Mutter und selbst die ist 72. Das bringt nix
mehr. Sie war damals alleinerziehend, musste arbeiten und bekam keinen Tageskrippenplatz, der auf dem Arbeitsweg lag. Mein Vater ist damals nach Westdeutschland ausgereist. Bezugsperson war meine Urgroßmutter, bei der ich oft meine
Wochenenden verbrachte. Die war allerdings damals 74 Jahre alt, also
begrenzt bespielbar.
Die Betreuung im Heim lief nach dem Uhrwerk, ein Pfleger auf 10
Kinder. Sobald man laufen konnte, wurde eventuell sogar ein Tambourin benutzt, um
das Taktgefühl zu verbessern. Marschieren rund um den Tisch und
dergleichen.
Kinder wurden teilweise zwangsgefüttert, im Bett und auf dem Topf festgebunden. Das sind logische Methoden landwirtschaftlich organisierter Aufzucht, vergleichbar mit einem Kälberstall.
Ein kleiner Einblick:
https://www.mdr.de/geschichte/stoebern/damals/video44532.html
https://www.youtube.com/watch?v=iLjHAP9Cho4
https://www.youtube.com/watch?
Ich verlinke noch das Video von einem Symposium über Säuglingsheime und Kinderwochenheime.
Bei
einem derart starken Kindheitstrauma entsteht eventuell nicht nur ein
"Schattenkind", wie bei normalen Menschen, indem der emotionale Anteil unterdrückt wird, der mit den Eltern in Konflikt stand, es wird manchmal ein
großer Teil oder sogar die gesamte emotionale Persönlichkeit (EP)
abgespalten ("Splitting") und verschlossen, man nennt das "strukturierte Dissoziation". Man hat dann möglicherweise
fast keinen Zugang mehr zu seinen Gefühlen, was auch Alexithymie genannt
wird. Hinzu kommt möglicherweise eine "komplexe posttraumatische Belastungsstörung".
Bei mir tritt folgendes auf: Ich kann meine Gefühle nur mit Hilfe von einer anderen Person erkennen. Ich fühle mich oft wie ein totes Stück Holz und habe auch keine gute Temperaturwahrnehmung. Bei stressigen Situationen gerate ich manchmal in einen Totstellreflex oder wechsele in eine Art äusseren Betrachter, der nur zuschaut oder schlagfertig lakonisch kommentiert. Ich kann aber auch einfach nur „funktionieren“. Ich spiele und täusche Emotionen in sozialen Situationen manchmal vor. Darin bin ich mittlerweile so gut, dass Fremde nichts mitbekommen. Ich habe Probleme mit der geschlechtlichen Wahrnehmung (nicht Identität) meiner Selbst. Ich empfinde körperliche Nähe situationsbedingt als belastend und intrusiv. Ich habe ungeordnete, widersprüchliche und schwer datierbare Erinnerungen nicht nur an meine frühe Kindheit, sondern bis hinein in meine Pubertät. Meist sage ich "etwa 10 Jahre" um dann später zu merken, es waren 7 oder 14. Ich hatte und habe (wahrscheinlich psychosomatische) Schmerzen in den Muskeln am ganzen Körper. Ich bin wenig emphatisch und kann Emotionen anderer Menschen schlecht zuordnen.
Meine Frau merkt noch an, dass ich von meiner Familie entfremdet bin, mich nicht über Erfolge freuen kann und meine Gefühle und Wünsche wie gesagt schwer verbalisieren kann.
7 Kommentare:
Von den Macken, die du ansprichst, kannst nicht nur du reden. Auch ich habe viele dieser "Special Effects", obwohl ich nie im Wochenheim war und auch gar nicht konnte. Ich bin ein typisches Wendekind und wurde gleich nach meiner Geburt zur Adoption freigegeben. An meine ersten 4 Lebensjahre habe ich keinerlei Erinnerungen, auch wenn ich mich anstrengen müsste, mich zu erinnern. Ich habe lieber alles vergessen, einen Grund kann ich nicht benennen. Stattdessen habe ich vermutlich eher eine Art Autismus entwickelt. Vielleicht Asperger, ich kann es nicht genau sagen. Mit ADS habe ich ebenfalls zu kämpfen, wobei bei mir noch die Verträumtheit dazukommt. Nicht nur in der Kindheit, sondern auch noch jetzt.
Deswegen kann ich dein weirdes Leben ziemlich genau nachfühlen.
Hallo Emily,
Autismus kann man gottseidank nicht entwickeln, dass ist angeboren. Und diese Leute sind schon ziemlich speziell. ADS ist glaube ich eine bekannte Folge von Vernachlässigung von Kindern. Wenn diese länger gar keine oder keine zugewandte Aufmerksamkeit (bezugsperson ist im selben Raum, aber mit anderen Sachen beschäftigt) bekommen, tritt Dissoziation ein, geistige Abwesenheit. Verträumtsein ist genau das, Dissoziation, Ablösung des Geistes von der gegenwärtigen Realität.
Sich nicht erinnern können halte ich zuallererst ebenfalls für eine Reizarmut in der Kindheit. Es kann natürlich auch Dauerstress sein oder beides im Wechsel.
Eigentlich heißt meine dissoziative Persönlichkeit Emilia ;) und die ist total offenherzig, wird sofort mit jedem warm und prescht bei anderen so dermaßen übers Ziel hinaus, sodass die am Ende total verwirrt zurückbleiben und ihr gegenüber auf Distanz gehen, was ihr im Gegensatz zu mir gar nichts ausmacht. Nur mir gehen ihre Ausbrüche selbst auf die Nerven und ich versuche dann, alles wieder zu kitten ...
Bei mir wars eher so, dass meine Bezugsperson mit im gleichen Raum war und jeden meiner Schritte beobachtet hat, damit ich ja nichts falsch mache ... die totale Kontrolle. Und wenn sie dann weg war, dann nahm mein ADS Überhand. Die kam als Folge von zu viel Aufmerksamkeit. Deswegen konnte ich damals kaum eigenständig etwas erledigen. Immer saß meine Bezugsperson mir im Nacken.
Und wenn ich jetzt als Erwachsene etwas Eigenständiges tun oder entscheiden will, grätscht meine damalige Bezugsperson dazwischen und will mir immer wieder einreden, dass das alles falsch sei und sie am besten weiß, was gut für mich und wie es richtig sei. Der benannte Dauerstress, der mich körperlich und emotional extrem runterzieht.
Es gibt sogar einen Begriff dafür: Emotionale Persönlichkeit EP. Die andere Persönlichkeit heisst Anscheinend normale Persönlichkeit ANP.
Die Erweiterung um den WhatsApp-Chat mit deiner Mutter und auch die Beschreibung deines Wesens und Verhaltens sowie deren Analys verdeutlich umso besser, wie sehr man sich verändern kann. Wenn dir es dir genügt, mithilfe deiner Frau deine Gefühle zu erkennen, bist du mit ihr sehr gut beraten, wenn es um soziale Situationen in der Freizeit und zu Hause geht. Aber wer hilft dir beispielsweise wenn du allein irgendwo bist - auf Arbeit oder sonst wo? Du müsstest ja quasi immer jemanden dabei haben, der dir hilft, bei niemandem anzuecken. Vielleicht würden sich bei dir mehrere Bezugspersonen anbieten, vorausgesetzt du vertraust ihnen und sie fühlen sich nicht durch deine lakonisch bissge Art von dir weggestoßen. Sicher gibt es Menschen, denen es genauso geht wie dir ...
Nein nein, immer dabeihaben nicht. Auch keine Bezugsperson, das klingt so nach Pfleger oder Vormund. Es reicht mir, wenn man mir ab und zu eine Rückmeldung über meinen Gesichtsausdruck gibt.
Ich meinte mit Bezugsperson einfach jemanden, mit dem man sich anders unterhält oder sich anders gibt, wie die Umgebung es sonst gewohnt ist. Der einfach einen kleinen Sonderstatus hat eben ^^
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