Auf Anfrage hin hat mir meine Mutter eröffnet, dass ich die ersten vier Lebensjahre ab dem 3 Monat im Kinder-Wochenheim der DDR war.
Das war also damals eine ideologische und logistische Maßnahme zur Befreiung der weiblichen Arbeitskräfte von der Mutterschaft.
Jetzt kann ich alle meine weirden Macken dahin schieben.Tatsächlich hat
frühkindliche Säuglingsheimverwahrung weitreichende Auswirkungen auf
die Persönlichkeitsentwicklung (eben Hospitalismus), wobei es durchaus
Überschneidungen mit Autismus und ADS gibt (Kommunikationsstörungen,
fehlerhafte Mimikinterpretation, Ablenkbarkeit, Festhalten an
Gewohnheiten).
Hervortretend sind aber im Gegensatz zu diesen: Angststörungen,
Bindungsprobleme bis zur Unfähigkeit, Empathieminderung, Überanpassung,
ausgeprägte Selbstständigkeit (niemanden brauchen, "Scheinbare Selbstständigkeit"), niedriges
Selbstwertgefühl, gestörtes Gefühlsempfinden (deswegen psychosomatische
Probleme).
Ein Teil davon entsteht, weil der Stress Botenstoff Cortisol die Verarbeitung von inneren und äusseren Wahrnehmungen in verständliche Gefühle blockiert. Durch fehlende oder negative Spiegelung der Bezugsperson entsteht ausserdem möglicherweise "toxische Scham", bei der man sich als "falsch", "abstoßend", "wertlos", "überflüssig", "anders" und "nicht zugehörig" empfindet.
Bei
mir trat folgendes auf: Ich konnte meine Gefühle oft nur mit Hilfe von
einer anderen Person erkennen (Mimik). Ich fühlte mich oft wie ein totes
Stück Holz und hatte auch keine gute Temperaturwahrnehmung. Bei
stressigen Situationen gerate ich manchmal in einen Totstellreflex
(Freezing) oder wechsele in eine Art äusseren Betrachter, der nur
zuschaut oder schlagfertig lakonisch kommentiert. Ich kann aber auch
einfach nur „funktionieren“. Ich hatte und habe (wahrscheinlich
psychosomatische) Schmerzen in den Muskeln am ganzen Körper. Ich bin
wenig emphatisch und kann Emotionen anderer Menschen schlecht zuordnen.
Meine Frau merkt noch an, dass ich von meiner Familie entfremdet bin,
mich nicht über Erfolge freuen kann und meine Gefühle und Wünsche schwer
verbalisieren kann.
Ich nehm natürlich auch gleich, sowie auch viele andere Wochenkinder, an einer Psychostudie der Uni Rostock
teil, sollen ja auch ein paar Doktoranden was von meiner Macke haben.
http://wochenkinder.de
Ich habe es erst jetzt komplett erfahren, vorher war ich nur von einem Jahr Wochenkindergarten ausgegangen. Ich habe kaum Erinnerungen daran, da war ich zu klein. Nur wenige Bilder. Scheint also nicht so spannend gewesen zu sein.
Ja, man bleibt dabei die ganze Arbeits-Woche im Heim, auch nachts. In einem Schlafsaal mit vielen anderen Kindern und einer Aufsicht.
Grausam ist nicht das Heim ansich, es ist sogar ganz nett da. Fehlt nur
die persönliche Zuwendung. Jedes Kind bekam pro Tag durchschnittlich eine halbe Stunde Aufmerksamkeit von einem Erwachsenen. Es ist eine Art schmerzlose (weil man sich
nicht daran erinnert) Operation, nachder man nicht mehr richtig fühlen
kann oder man selbst ist. Wie im Buch „Der Goldene Kompass“ mit den
Kindern und ihren Tierdämonen. Die DDR an sich war nicht für alle Kinder
schlecht. Nur für die die Pech hatten.
Wütend bin ich,
aber eher diffus. Nach all der Zeit kann man das an niemandem mehr
auslassen ausser meiner Mutter und selbst die ist 72. Das bringt nix
mehr. Sie war damals alleinerziehend, musste arbeiten und bekam keinen Tageskrippenplatz, der auf dem Arbeitsweg lag. Mein Vater ist damals nach Westdeutschland ausgereist. Bezugsperson war meine Urgroßmutter, bei der ich oft meine
Wochenenden verbrachte. Die war allerdings damals 74 Jahre alt, also
begrenzt bespielbar.
Die Betreuung im Heim lief nach dem Uhrwerk, ein Pfleger auf 10
Kinder. Sobald man laufen konnte, wurde eventuell sogar ein Tambourin benutzt, um
das Taktgefühl zu verbessern. Marschieren rund um den Tisch und
dergleichen.
Kinder wurden teilweise zwangsgefüttert, im Bett und auf dem Topf festgebunden. Das sind logische Methoden landwirtschaftlich organisierter Aufzucht, vergleichbar mit einem Kälberstall.
Ein kleiner Einblick:
https://www.mdr.de/geschichte/stoebern/damals/video44532.html
https://www.youtube.com/watch?v=iLjHAP9Cho4
https://www.youtube.com/watch?
Ich verlinke noch das Video von einem Symposium über Säuglingsheime und Kinderwochenheime.
3 Kommentare:
Hallo Emily,
Autismus kann man gottseidank nicht entwickeln, dass ist angeboren. Und diese Leute sind schon ziemlich speziell. ADS ist glaube ich eine bekannte Folge von Vernachlässigung von Kindern. Wenn diese länger gar keine oder keine zugewandte Aufmerksamkeit (bezugsperson ist im selben Raum, aber mit anderen Sachen beschäftigt) bekommen, tritt Dissoziation ein, geistige Abwesenheit. Verträumtsein ist genau das, Dissoziation, Ablösung des Geistes von der gegenwärtigen Realität.
Sich nicht erinnern können halte ich zuallererst ebenfalls für eine Reizarmut in der Kindheit. Es kann natürlich auch Dauerstress sein oder beides im Wechsel.
Es gibt sogar einen Begriff dafür: Emotionale Persönlichkeit EP. Die andere Persönlichkeit heisst Anscheinend normale Persönlichkeit ANP.
Nein nein, immer dabeihaben nicht. Auch keine Bezugsperson, das klingt so nach Pfleger oder Vormund. Es reicht mir, wenn man mir ab und zu eine Rückmeldung über meinen Gesichtsausdruck gibt.
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