Samstag, 27. Juli 2019

In der Werkstatt des Uhrmachers

„Fragen : Diese unseligen Kinder der rastlosen Geistes verlangen nach Variationen des Unabänderlichen und führen zum Widerspruch. Frage also: Hat Gott den Menschen erfunden oder der Mensch Gott? Der Gedanke von Gott enthält alles und ist doch menschlich. Er ist eine persönliche Version. Eine Variation des Unabänderlichen. Ein Widerspruch. Gott ist dem Menschen sehr ähnlich, er ist ein Macher, Veränderer, Zerstörer und Schöpfer. Also ist er nicht eins. Sondern viel. Wie eine Schublade enthält er verschiedene Dinge, die alle dazugehören. Und zwar alle. Denn er ist die Beschreibung für alles das um uns und in uns ist. Der Name dafür ist genauso sinnlos wie alle Namen. Aber eine Hilfe, um Unfassbares fassbar zu machen. Wie bei der Luft. Also ist Gott da, in Form einer Idee von Präsenz. Präsenz ist keine Idee. Luft ist keine Idee. Das ist die äussere Wahrnehmung.

Vakuum, Dunkelheit und Kälte sind Defintionen von Nichtpräsenz. Nicht präsentes ist nicht präsent. Nichtpräsenz ist eine Idee. Von etwas, dass da sein müsste aber nicht da ist. Gott ist eine Idee von Nichtpräsenz. Eine Idee von einer Idee, ein Traum von einem Traum. Eine Variation. Träume unterscheiden sich, Träume widersprechen sich. Das ist die innere Wahrnehmung. Glauben wir an den Widerspruch: Widersprechen wir Gott. Suchen wir nach unseren Träumen.“

Müde blickte ich auf den vollgekritzelten Bogen Papier herab, ein weiterer nutzloser Versuch von vielen und wahrscheinlich nicht der letzte. "Was war es noch, wonach ich gesucht hatte? Was die Welt im Innersten zusammenhält? Die letzte unteilbare Wahrheit? Das Elementarteilchen? Was uns die Physik gibt, sind Elektronen, Quarks, Photonen, die sich benehmen wie ewige Halbstarke: sie lassen sich nicht definieren, leben in den Tag hinein, versammeln sich in Cliquen und verpuffen ihre ganze Energie beim Sex. Sie bestehen aus Widersprüchen. Das sollen unsere Fundamente sein? Woraus besteht ein Widerspruch?" 

Doch alles, auf was ich mich zu konzentrieren versuchte, floh meinem Geist in ähnlich schwammigen Ergüssen wie diesen. Ich seufzte, nahm einen Schluck direkt aus der Rotweinflasche (eine weitere und wahrscheinlich nicht die letzte) und stierte aus dem nachtschwarzen Fenster. Wie grau mein Haar schon geworden war, seit ich in dieses Zimmer kam, dachte ich und über diesem Gedanken muss ich wohl eingeschlafen sein. Ich fiel aus dem Schlaf direkt in die Werkstatt des Uhrmachers. 

Er starrte fassungslos aus seinem Monokel, dann fasste er sich : „Ah, Besuch! Können nicht mehr anklopfen, die jungen Leute, was?“. Er war ein kleiner, bulliger Mann, mit Halbglatze, einem lustigen weissen Haarkranz und blauem Kittel. Es umgab ihn eine Aura von aufrichtigem Stolz. Nun etwas freundlicher, als er gesehen hatte, das ich nicht minder erschrocken war als er, legte er die kleine silberne Pinzette, die er in der Hand gehalten hatte, auf den Tisch und holte zu einer einladenden Geste aus: „Nur zu, schauen Sie sich um!“ und ging wieder an seine Arbeit. Zuerst warf ich einen Blick durch die halbgeöffnete Tür. Ich befand mich in einem geräumigen, wahrscheinlich zweigeschossigen Haus im Kolonialstil mit weitläufigen Fensterfronten und viktorianischen Möbeln. 

Durch das Fenster sah ich Felsen, das blaue Meer und eine üppige Vegetation. Dann drehte ich mich wieder um und sagte im verbindlichen, warmen Tonfall und einem Hauch von Ehrlichkeit: „Schön haben Sie es hier.“ Was man eben so sagt, wenn man zu Gast ist. „Das soll wohl!“ antwortete er fröhlich, ohne sich umzudrehen. Eine riesige Werkbank dominierte den Raum, darauf einige unfertige silberne und goldene Apparate unbekannter Art, filigrane Federn, Schrauben und Räder. Auch Werkzeuge. An den Wänden befanden sich Regale mit Folianten und Papierrollen, sowie Kästen mit Kleinteilen. Eine Lampe, die gleichzeitig Lupe war, erhellte den Tisch und offenbarte noch zwei einfache Schemel, die das Interieur des Raumes abrundeten. 

„Ich bin Uhrmacher. Unruhen und Regulatoren und so weiter. Hoffe, sie kennen sich aus?" sagte der Mann plötzlich und wandte sich nun wieder mir zu. "Und ich mache Universalkonzepte.“ „Sowas wie Universen?“ „Ja, dreidonnernocheins, was habe ich denn gerade gesagt?“ „Eben dies.“, beschwichtigte ich, „Kennen sie dann auch das Kugelweltkonzept?“ Er schaute mich säuerlich an, als habe ich im gerade ins Bein gebissen. „Warum interessiert sie das?“ fragte er leise und herausfordernd. Und dann fügte er hinzu „Davon will ich nichts hören, Bursche. Lassen Sie die alten Geister ruhen. Das ist kein Ruhmesblatt für einen Mann in ihren Jahren, die Kenntnis dieser Kugelweltsache. Gehen sie auf Weibersuche. Das ist weitaus interessanter uuund vergnüglicher.“ „Ich komme aber daher. Aus der Kugelwelt.“, sagte ich schlicht.

Oh, ach, Sie armer.“ Sein stolzer Habitus sackte in sich zusammen. „Dann werden sie Fragen haben? Setzen wir uns.“ „Ja: Was ist es, was die Welt im Innersten zusammenhält? Was ist die letzte unteilbare Wahrheit, das eine Elementarteilchen?“ „Sie kommen gleich auf den Punkt.“ seine Mundwinkel zuckten „Das gefällt mir, haha!“ Und er schlug mir auf die Schulter. „Geradeheraus, mein Sohn: Die Idee war simpel. Polarität, Widerspruch, Unterscheidung durch Trennung und Teilung, plus und minus, hier und da. Mehr habe ich gar nicht dazu beigetragen. Wer konnte denn ahnen. Das ganze Konzept ist mir unter der Hand explodiert.“ „Nanu, was ist denn passiert?“ „Es gab eine Reihe ganz unerfreulicher Folgen, von denen eine der furchtbarsten gerade die Vereinigung war.“ 

„Sie meinen den Urknall?“ „Ja, genau. Glücklicherweise oder auch nicht beinhaltete die Idee auch ein mehr und ein weniger. Und dann waren da noch Zeit und Raum. Aus dem Dazwischen. Schnell und langsam, alles geriet in Bewegung und Wandlung, man wurde ganz verrückt.“ Er rollte mit den Augen, dann kratzte er sich an der Nase: „Und dann hat es sich einfach immer weiter geteilt, immer weiter. Immer weiter, verstehen Sie?“ „Verstehe.“ „Sie verstehen nicht! Immer weiter! Jede Teilung gebar unendlich viele neue Teilungen! Und Vereinigungen! Und dann das SCHLIMMSTE, WECHSELWIRKUNGEN!“ 

Jetzt wurde er laut. „Wechselwirkungen führten zu Information und Information führte zu Codes. Codes führten zu Leben. Und da, wo es endlich anfing, interessant zu werden, kamen nur die Schnecken und Würmer. Das war mir zuviel. Mir wird schlecht von Würmern, verstehen Sie?“ Ich sagte nichts. Leiser fuhr er fort: „Seitdem guck ich nur noch ab und zu rein. Fische und Dinosaurier, was? Jede Menge Käfer? Maulesel? Wie seit ihr denn zurecht gekommen? Habt ihr etwas erreicht?“ „Wir können bald klonen.“ „Wie bitte?“ „Mit ihren Worten: Herstellung einer Kopie ohne Vereinigung.“ „Ist das nicht langweilig?“ „Denken sie an Anfang und Ende. Das Ende ist schwer zu verkraften.“ „Ahh. Soo. Ein bischen unsportlich, was? Na macht mal.“ lachte er. „Aber als leidenschaftlicher Golfer gebe ich Ihnen einen Tipp: spielen Sie Ihren Ball, wo er liegt. Tasse Tee?“ „Gerne.“ „Gehen wir nach Draussen in den Garten!“ An einem kleinen Holztisch unter üppig blühenden Büschen unterhielten wir uns -beim Tee- weiter. 

„Wir haben auch Theorien, wie alles kam. Genaugenommen zwei: Eine geht von einem Schöpfer, Ihnen, aus, der alles mit einem Schlage schuf, die andere von einer Sache namens Evolution, der langsamen Entwicklung der Arten durch Selektion und Anpassung. Was ist ihre Meinung?“ Der Uhrmacher bohrte den Finger in die Luft und zeigte auf meine Brust. „Beides Richtig: alles wurde auf einmal geschaffen, aber nur als Möglichkeit. Die tatsächliche Ausführung der Möglichkeit läuft über Affen, Molche und Maulesel. Möglickeiten erzeugen Wahrscheinlichkeiten. Als logische Folge entsteht die Möglichkeit der Entstehung der Variation gleichzeitig mit der einfachen Orginalidee. Als Folge des Widerspruchs ergibt sich der Kompromiss oder das Dazwischen, der Raum, das Neutron, das Grau, alle Farben, Raum-Zeit jaja, das hatten wir ja schon.“ Und dann schlürfte er an der Teetasse. „Ahhhh. Nicht zu vergessen die Ähnlichkeit. Die Ähnlichkeit habe ich immer gemocht. Fabelhafte Versteckspielerin. Keine zwei Dinge sind gleich. Wissen Sie, man könnte einen tiefen See für ein flaches Gewässer halten, wenn er nur klar genug ist. Noch was?“ 

„Ja, aber warum fällt uns der Himmel nicht auf den Kopf? Warum vereinigen sich nicht einfach alle Widersprüche?“ „Denken sie an die Wechselwirkungen: Wenn mehrere Widersprüche sich überlagern, können sie sich auf Dauer erhalten.“ Dann summte er eine Melodie, die mir verdächtig wie „Es waren zwei Königskinder“ vorkam. „Dann hatten die Chinesen also recht. Die haben das hier gebastelt.“ Stolz zeigte ich ihm meinen Ying Yang Anstecker: „Das ist ein Ying Yang oder Tai Gi.“ „Total verrückt.“ Er verdrehte den Kopf. „Was ist auf der Anderen Seite ?“ „Eine Anstecknadel“ „Oh, ah, verstehe. Ja, das kommt in ungefähr hin. Aber schwarz und weiss ist kein gutes Beispiel für Polarität. Das Alles oder nichts, die Null und die Eins, diese Sachen sind nur die Hälfte der Wahrheit. Was fehlt, ist das minus. Das Gegenteil von Sein ist nicht Nichtsein, sondern Anderssein, während das Nichtsein zwischen den beiden liegt. Auusser, man würde das Ding in der Mitte zusammenfalten." "Angenommen man nähme zwei Menschen, wie wäre das dann mit dem Anderssein? "Dann wäre es nur bezüglich einer einzelnen Eigenschaft oder Meinung und man müsste alle Eigenschaften und Meinungen nacheinander prüfen." 

"Da würde man im Leben nicht fertig und dann könnte man wieder von vorn anfangen." "Genau so. Die Tupfen sind für Quellen und Senken?“ „Und die Symmetrie steht für Harmonie und Gleichgewicht.“ vollendete ich stolz. Ich atmete tief ein und fast hätte ich „Om“ gesagt. Abwehrend schob er die Hand nach vorn. „Nein, nein. Harmonie ist kein symmetrisches Konzept, die Symmetrie ist ein Sonderfall der Harmonie! Sie haben es doch hier...“ "Also jetzt versteh ich nix mehr." "Also was ihr hier als Symmetrie bezeichnet, liegt in den Formen. Die Symmetrie ist das Gleichgewicht zwischen Gleichem. Die Harmonie ist zwischen dem Schwarz und dem Weiss und in der Welle, sie ist das Gleichgewicht zwischen Ungleichem. Beides sind Sonderfälle." „Sonderfälle kommen in die Klinik.“ antwortete ich wie aus der Pistole geschossen. „Na eben!“ rief er und warf die Hände jetzt hoch. "Was fasziniert euch denn an Absonderlichkeiten?" "Beide haben aber ihren Ursprung im Gleichgewicht?", ich blieb beharrlich. 

Seine linke Augenbraue erhob sich und schnippste mit den Fingern nach Beantwortung. "Sie machen es uns einfacher. Wir benutzen sie als Grundformen." gab ich nach. "Einfach kann auch ganz schnell kompliziert werden", sagte er lachend. "Bin ja selbst das beste Beispiel." "Und meine Frage?" Nicken. "Ja, richtig. Gleichgewicht wiederum ist ein Spezialfall des Widerspruchs. Es sind aber die Widersprüche, aus denen eure Welt aufgebaut ist, das sagte ich Ihnen doch schon. Alles andere entsteht daraus, auch die Ausnahmen." „Oh.“ „Was ist?“ „Eine Frage hätte ich aber noch.“ 

„Dann raus damit!“ „Gibt es die Ewigkeit und den Augenblick?“ Amüsiert lächelte er „Hartnäckig, was? Das nenne ich Sportsgeist. Ja, das ist alles dasselbe dem Ursprung nach: Augenblick, Ewigkeit, Symmetrie, Harmonie, die NULL. Absonderlichkeiten. Sie existieren nicht einzeln." „Ich erinnere mich aber an einzelne Augenblicke.“ Wie ein ertappter Lausejunge scharrte er mit den Füssen. "Mir ist da was in den Sinn gekommen", antwortete er schliesslich. "Wie lange dauert euer Augenblick?" "3 Sekunden. In etwa." "Und das können eure Uhrenapparate zählen?" "Die zählen Schwingungsdauern. Das ist es ja. Aber wir erinnern uns nicht an Schwingungsdauern, sondern an Augenblicke." "Aber doch, weil sie sich von den anderen unterscheiden?" "Ja, das ist der Grund, aber der einzelne Augenblick ist es trotzdem, der übrigbleibt." 

Da stand er auf und lachte und schüttelte er mir die Hand. Er schien sonderbareweise sehr erleichtert. "Mein lieber Freund, sie haben ihr Elementarteilchen gefunden. Den Augenblick. Ihr Augenblick. Ihr Augenblick ist ihre Ewigkeit. Unteilbar und doch...“ „Ein Widerspruch!“ beendete ich seinen Satz und in dem Moment bin ich aufgewacht. Ich stand auf und öffnete das Fenster. Draussen war es Frühling und die Vögel zwitscherten. Ich entsorgte die Flaschen und das Papier und beschloss, auf Reisen zu gehen. Vielleicht in die Südsee. (Erstfassung: 2006)

Elektromagier

Das ganze Gemenge aus Halbwissen und, nun ja, religiösem Halbwissen, wobei das ja jetzt sogar schon wieder eine revolutionäre Basis darstellen könnte und das andere auch, würde man die andere Hälfte als leer betrachten, also pessimistisch, gibt einen guten Hefeteig, er geht auf, macht bräsig und diskutierfreudig. Sehr schön. Jetzt habe ich mich schon wieder selbst überlistet. Eigentlich wollte ich das als schlecht darstellen. Scheint es aber nicht zu sein, ganz logisch betrachtet. Aber für mich ist das schlecht. Ich bin mit Trockenfutter aufgewachsen, ich kann jetzt nun mal nichts mehr anderes essen, was heisst, Materialismus und Partikularität bitteschön. Keine weichen Ränder oder Extrapolationen. Nicht jetzt. Ok, aber doch. Also zum virtuellen Ich, Rückkehr der Magie und Schubladendenken.  Ersteres und letzteres ganz schnell:  Es waren einmal die Herren Volta, Ampere, Faraday und Tesla et al. Die machten Sachen mit Froschschenkeln. Ein recht materialistischer Spass und doch der Vorbote der Entmaterialisation ausserhalb des Gehirns, die im Computer endete. Digitalisierung, jaja. Und damit kann man dann virtuelle Sachen hin- und herschieben, die eigentlich nur, naja Elektrizität sind. Und damit kam man dem Gehirn ja schon verdammt nahe, da ist das ja auch so, so elektrochemisch. Viele Sachen elektrischer Natur hätte man früher für magisch gehalten. Heute ist es eher die gute alte Schwerkraft, die Kopfzerbrechen bereitet.  Also Magie und spätere religiöse Ableger sind Sachen, die so funktionieren wie die Vorstellung oder besser der Wunsch, den das Gehirn von der Wirklichkeit hat. (Hat viel mit Geschwindigkeit und Effekten zu tun.)  Durch und durch magisch-elektrisch und man kann ihnen auch ein elektrisches virtuelles Abbild zuweisen. Aber die Wirklichkeit selber interessiert das ja nicht. Wäre die Wirklichkeit magisch, gäbe es einen eingreifenden Gott, hätte er alle Hände voll zu tun, den Dingen zu erklären, wass sie zu tun und zu lassen haben. Zu den Menschen käme er gar nicht mehr. Und so sind Computerprogramme. Sie sagen jedem Ding, was es zu tun und zu lassen hat, ein Programmierer definiert etwa Schwerkraft nur für die Dinge, für die er sie braucht, dafür sind Programme ja auch übersichtlich. In denen darf es Magie geben. Elektromagie sind auch die Geister unserer heutigen Zeit. Denkt ihr, wir haben die Gespenster und Spukgestalten unserer Ahnen längst hinter uns gelassen und gegen Logik und Wissenschaft eingetauscht? Und warum beschäftigen wir uns dann immer noch mit, nun elektronisch entmaterialisierten, Versionen unserer Spezies? Das Fernsehen, das Radio, das Internet sind voller toter Leute, die zu uns sprechen. Wissenschaft hat uns erst die Geister und Dämonen ermöglicht, die wir uns früher so lebhaft selbst vorstellen mussten.

Sonntag, 28. August 2016

Hegel und Marx - die aristotelische Synthese

Michael Conradt stellte in seiner youtube-Reihe die Behauptung auf, die Hegelsche Dialektik, die Dialektik des Geistes sei die Antithese zur Marxschen Dialektik, der Dialektik der Materie. Danach stellte er die Frage nach der Synthese beider Dialektiken. Hegel greift natürlich weit zurück auf Platon, der postulierte, die Wirklichkeit sei ein Abbild einer realeren (göttlichen) Geisteswelt. Marx stellte die Sache anders dar und meinte, die Materie bestimme den Geist. Auch Marx können wir einen berühmten Griechen voranstellen, nämlich Demokrit, der als erster die Welt aus Atomen aufgebaut sah. Was ist nun die Synthese von Hegel und Marx?

Diese braucht gar nicht neu erfunden werden, sie ist nämlich schon lange vorhanden: es ist die wissenschaftliche Methode der Induktion und Deduktion. Auch diese hat ihren Ursprung in der platonischen Ideenlehre und wird seitdem weiterentwickelt. Dabei meine ich nicht die Benutzung von Modellen und Plänen an sich, die sicher noch weiter zurückgeht, sondern die Erkenntnis Platons, dass göttliches Modell und menschliche Erfahrung gegensätzlich sind und seine Argumentation, Geometrie sei ein göttliches Ideal. Sein Schüler Aristoteles führte dann die Induktion, die Abstraktion von Naturphänomenen, ein. Die Abstraktion ist dann schon die diesmal ganz menschliche Modellbildung, Idealisierung. Die Anwendung des Modells auf die materielle Wirklichkeit ist schliesslich die Deduktion. Induktion und Deduktion sind die Vermittler zwischen geistigem Ideal und materieller Wirklichkeit und Aristoteles schliesslich der Gewinner des Conradtschen Preisausschreibens. Mit der wissenschaftlichen Methode gewinnen wir aus materiellen Tatsachen geistige Idealvorstellungen (Modelle) und mit diesen Vorstellungen beeinflussen wir wiederum die Materie.


These und Antithese lassen sich ideell einerseits als unterschiedliche Mengen und die Synthese als Schnittmenge darstellen. Andererseits können These und Antithese auch polare Punkte einer geordneten, quantifizierbaren Menge sein (z.B. schwarz und weiss in der Graustufenmenge). Falls beides nicht gelingt, können beide immer noch durch eine qualitative Übermenge eingeschlossen werden. Es geht also immer um eine Erweiterung des gedanklichen Blickfelds. Materiell gelingt die Synthese durch Umverteilung von Materie, also Taten. Die Synthese beider Synthesen gelingt durch Feedback, also deutsch Rückkoppelung. Tat-Erkenntnis-Tat-Erkenntnis.... Das Ergebnis von Rückkoppelung ist Weiterentwicklung.

Bonusmaterialspinnerei:

Bisher habe ich die Dialektik als Methode behandelt. Bleibt noch die Dialektik als Weltbild, ein leicht esoterisches Unterfangen. Holen wir nun noch weiter aus und meinen, der Geist sei eine spezielle Dynamik und Verteilung der Materie. In diesem Sinne hätte Marx dann Recht, die Materie bestimmt den Geist, ja sie IST der Geist. Andererseits besteht Materie hauptsächlich aus physikalischen Kraftfeldern. Damit sind wir schon bei Einstein. Energie ist die Synthese von allem. Energetische Dialektik ist en vogue. Eine Dialektik nicht über Mengen oder Materieverteilung, sondern über Energieverteilungen, gleich mit Anschluß an die Informationstheorie. Und hoppla, wie schön sich der Kreis schließt. Betrachtet man Information als Geist, ist man schon wieder bei Hegel. Genauer betrachtet stehen sich heute also nicht mehr Marx und Hegel gegenüber, sondern klassische Physik und die Informationstheorie.

Hier nun noch eine kurze These über die Frage, ob Zeit und Raum gequantelt sind. Das ist eine Frage, mit der sich unter anderem die Theorien der Quantengravitation beschäftigen.  Zeit und Raum sind eigentlich reine Messgrößen, die in ihrem Fall den Geschwindigkeitsanteil von Energie beschreiben. Die kleinste Energieeinheit ist der Planck-Quant. Dazu existieren auch eine Planck-Zeit und eine Planck-Länge. Weiter können wir Energie, Zeit und Raum nicht auflösen, dies ist das kleinste mögliche Beobachtungsraster. Da Zeit und Raum also menschliche Hilfsmittel sind, um die physikalische Wirklichkeit zu erfassen und beide auf der Energie basieren, sind sie dadurch möglicherweise gequantelt. Es wäre also nicht die Brille kariert, mit der wir Raum und Zeit betrachten, Raum und Zeit wären die karierte Brille, mit der wir die Energie betrachten.

Wir haben da für die kinetische Energie =1/2 x Masse x (Raum / Zeit)^2

Änlich gilt für die Wärmeenergie = Masse x Wärmekapazität x Temperaturunterschied

Trotzdem existieren Ausdehnung, Zeit und Masse natürlich auch ohne dass sie gemessen werden und sind intuitiv erfassbar. Energie hingegen ist ein abstraktes vereinheitlichtes menschliches Konstrukt. In Was ist eigentlich Vernunft benannte ich die Eigenschaften von Objekten als die einzige natürliche Größe und alles darauf Aufbauende abstrakt. Aber hier sind wir in einem Dilemma, denn man kann nicht beweisen, dass es kleinere Messeinheiten gibt ohne dass man sie messen kann. Und da wären wir wieder. Alles was über kleinste und größte Messgrenzen hinausgeht, kann zwar gedacht, aber nicht erfasst werden. Naturwissenschaften sind kariert. Geisteswissenschaften sind kontinuierlich.


(Bild: Wikipedia)

Mittwoch, 18. November 2015

Das farbenfrohe Opossum (Versform)

Ein Opossum ohne Ahnung
kriecht hungrig in die Keksedose,
drinnen lauter Weltraumkekse
aus des Herrchens Vorratsplanung.

Alles frisst das Possum leer,
und ganz komisch wird es ihm.
In seinem Kopfe spukt der Traum
vom eignen Künstleratelier.

Es nimmt den Pinsel und will malen,
doch es ist viel zu bedröhnt.
Schwarz wird es vor seinen Augen,
und man sieht's vornüber fallen.

Besser hängt es sich verkehrt
erstmal an die Jalousie.
Als Künstler braucht man Perspektive,
hat es irgendwo gehört.

Energisch kühn mit Pinselstrichen
es dann die Leinwand attackiert, 
mit großen und genialen Dingen
die seinem kleinen Kopf entwichen.

Das ist ganz klar der neue Trend,
was bunt von Ohr zu Ohr ihm wabert.
Doch ob der unbeleckte Trottel
diesen Trend sofort erkennt?

Unmissverständlich muss es sein,
so extrageil! Und wie im Wahn
taucht es in die Farbbehälter
ohne Furcht und Zagen ein.

Im kühnen Schwunge auf das Bild
wirft's Opossum sich behände.
Zuerst gestreckt, auf allen Vieren,
dann Handstand, Hintern und Profil.

Den Kritikern die Harke zeigend,
wälzt es sich im Merenguetakt.
So wird es steinreich und die Kekse
geh'n nun nimmermehr zur Neige.