Donnerstag, 28. März 2024

Wochenkinder

Auf Anfrage hin hat mir meine Mutter eröffnet, dass ich die ersten vier Lebensjahre ab dem 3 Monat im Kinder-Wochenheim der DDR war. 

Dies ist meine Whatsapp Kommunikation mit meiner Mutter:

Rico: "Ich habe gerade ein ganz interessantes Buch zu Wochenkindergärten gefunden. Kannst du mir bitte noch mal sagen, von wann bis wann ich dort war? Ich finde es unheimlich spannend, mich zur eigenen Persönlichkeit weiter zu bilden."
Mutter: "Wegen der Wochenheime hab ich keine Unterlagen. Die Erinnerung ist nicht ganz vollständig. Du warst in einer Wochenkrippe am Schillerplatz bis zum 3. Geburtstag und anschließend im Wochenkindergarten in Rochwitz. Ich weiß  aber nicht mehr genau, wie lange. Der wurde irgendwann geschlossen und dann warst du in einem normalen Kindergarten in Dresden."
Rico: "Hast du noch eine Idee vom Eintrittsalter in die Wochenkrippe? Eher 3 Monate, 6, 9 oder 12. So ungefähr? Und ob die Krippe eine staatliche war? Ich würde gerne an einer (anonymen) Unistudie teilnehmen, die gerade läuft. Das wäre sehr nett von dir und würde mir sehr weiterhelfen!"
Mutter: "Das war staatlich. Private gab es sicher damals gar nicht. Und ja -  ab 3 Monate."
 
 

Wie man auf dem Bild sehen kann, war es aber doch eine betriebliche Einrichtung, nämlich die Wochenkinderkrippe "Lilo Herrmann" der VEB Verkehrsbetriebe Dresden auf der Waldparkstr. 6.

Das war also damals eine ideologische und logistische Maßnahme zur Befreiung der weiblichen Arbeitskräfte von der Mutterschaft.
Jetzt kann ich alle meine weirden Macken dahin schieben.Tatsächlich hat frühkindliche Säuglingsheimverwahrung weitreichende Auswirkungen auf die Persönlichkeitsentwicklung (eben Hospitalismus), wobei es durchaus Überschneidungen mit Autismus und ADS gibt (Kommunikationsstörungen, fehlerhafte Mimikinterpretation, Ablenkbarkeit, Festhalten an Gewohnheiten).
Hervortretend sind aber im Gegensatz zu diesen: Angststörungen, Bindungsprobleme bis zur Unfähigkeit, Empathieminderung, Überanpassung, ausgeprägte Selbstständigkeit (niemanden brauchen, "Scheinbare Selbstständigkeit"), niedriges Selbstwertgefühl, gestörtes Gefühlsempfinden (deswegen psychosomatische Probleme). Ein Teil davon entsteht, weil der Stress Botenstoff Cortisol die Verarbeitung von inneren und äusseren Wahrnehmungen in verständliche Gefühle blockiert. Durch fehlende oder negative Spiegelung der Bezugsperson entsteht ausserdem möglicherweise "toxische Scham", bei der man sich als "falsch", "abstoßend", "wertlos", "überflüssig", "anders" und "nicht zugehörig" empfindet.

Ich nehm natürlich auch gleich, sowie auch viele andere Wochenkinder,an einer Psychostudie der Uni Rostock teil, sollen ja auch ein paar Doktoranden was von meiner Macke haben.
http://wochenkinder.de

Ich habe es erst jetzt komplett erfahren, vorher war ich nur von einem Jahr Wochenkindergarten ausgegangen. Ich habe kaum Erinnerungen daran, da war ich zu klein. Nur wenige Bilder. Scheint also nicht so spannend gewesen zu sein.

Ja, man bleibt dabei die ganze Arbeits-Woche im Heim, auch nachts. In einem Schlafsaal mit vielen anderen Kindern und einer Aufsicht.
Grausam ist nicht das Heim ansich, es ist sogar ganz nett da. Fehlt nur die persönliche Zuwendung. Jedes Kind bekam pro Tag durchschnittlich eine halbe Stunde Aufmerksamkeit von einem Erwachsenen. Es ist eine Art schmerzlose (weil man sich nicht daran erinnert) Operation, nachder man nicht mehr richtig fühlen kann oder man selbst ist. Wie im Buch „Der Goldene Kompass“ mit den Kindern und ihren Tierdämonen. Die DDR an sich war nicht für alle Kinder schlecht. Nur für die die Pech hatten.

Wütend bin ich, aber eher diffus. Nach all der Zeit kann man das an niemandem mehr auslassen ausser meiner Mutter und selbst die ist 72. Das bringt nix mehr. Sie war damals alleinerziehend, musste arbeiten und bekam keinen Tageskrippenplatz, der auf dem Arbeitsweg lag. Mein Vater ist damals nach Westdeutschland ausgereist. Bezugsperson war meine Urgroßmutter, bei der ich oft meine Wochenenden verbrachte. Die war allerdings damals 74 Jahre alt, also begrenzt bespielbar.

Die Betreuung im Heim lief nach dem Uhrwerk, ein Pfleger auf 10 Kinder. Sobald man laufen konnte, wurde eventuell sogar ein Tambourin benutzt, um das Taktgefühl zu verbessern. Marschieren rund um den Tisch und dergleichen. Kinder wurden teilweise zwangsgefüttert, im Bett und auf dem Topf festgebunden. Das sind logische Methoden landwirtschaftlich organisierter Aufzucht, vergleichbar mit einem Kälberstall.

 
Ein kleiner Einblick:

https://www.mdr.de/geschichte/stoebern/damals/video44532.html

https://www.youtube.com/watch?v=iLjHAP9Cho4

https://www.youtube.com/watch?v=8V2SnfigZAI

Ich verlinke noch das Video von einem Symposium über Säuglingsheime und Kinderwochenheime.

Bei einem derart starken Kindheitstrauma entsteht eventuell nicht nur ein "Schattenkind", wie bei normalen Menschen, indem der emotionale Anteil unterdrückt wird, der mit den Eltern in Konflikt stand, es wird manchmal ein großer Teil oder sogar die gesamte emotionale Persönlichkeit (EP) abgespalten ("Splitting") und verschlossen, man nennt das "
strukturierte Dissoziation". Man hat dann  möglicherweise fast keinen Zugang mehr zu seinen Gefühlen, was auch Alexithymie genannt wird. Hinzu kommt möglicherweise eine "komplexe posttraumatische Belastungsstörung".

Bei mir tritt folgendes auf: Ich kann meine Gefühle nur mit Hilfe von einer anderen Person erkennen. Ich fühle mich oft wie ein totes Stück Holz und habe auch keine gute Temperaturwahrnehmung. Bei stressigen Situationen gerate ich manchmal in einen Totstellreflex oder wechsele in eine Art äusseren Betrachter, der nur zuschaut oder schlagfertig lakonisch kommentiert. Ich kann aber auch einfach nur „funktionieren“. Ich spiele und täusche Emotionen in sozialen Situationen manchmal vor. Darin bin ich mittlerweile so gut, dass Fremde nichts mitbekommen. Ich habe Probleme mit der geschlechtlichen Wahrnehmung (nicht Identität) meiner Selbst. Ich empfinde körperliche Nähe situationsbedingt als belastend und intrusiv. Ich habe ungeordnete, widersprüchliche und schwer datierbare Erinnerungen nicht nur an meine frühe Kindheit, sondern bis hinein in meine Pubertät. Meist sage ich "etwa 10 Jahre" um dann später zu merken, es waren 7 oder 14. Ich hatte und habe (wahrscheinlich psychosomatische) Schmerzen in den Muskeln am ganzen Körper. Ich bin wenig emphatisch und kann Emotionen anderer Menschen schlecht zuordnen.

Meine Frau merkt noch an, dass ich von meiner Familie entfremdet bin, mich nicht über Erfolge freuen kann und meine Gefühle und Wünsche wie gesagt schwer verbalisieren kann.

Dienstag, 5. März 2024

So, Frühling

Als die Kätzchen weiden gingen,
pelzig sich von Zweigen hingen,
in das glucksend Bächlein neigten,
still ihr Spiegelbild beäugten,
grasten Halme sanft und leise
und die Spatzen suchten Speise.
Tranken aus den Märzenbechern,
pfiffen es von allen Dächern,
dass bald Osterglocken läuten
um zu wecken aller Breiten,
schlafbeäugte Siebenschläfer,
Schmetterling und Maienkäfer.

Donnerstag, 22. Februar 2024

Der Krokus

Durch das Erdenreich behände
schiebt die Faser sich ohn Ende
Aus der Zwiebel und trifft gleich
auf den Phasengrenzbereich
Und da wird es endlich lichte,
wenn auch noch der Schnee als dichte,
fest gefügte Matte wehrt,
unlang bleibt der Weg versperrt.

Weil die Sonnenstrahl'n die kecken
an der Oberfläche lecken.
Sich durch die Kristalle buddeln,
um den bleichen Keim zu knuddeln.
Der reckt Blättchen, eins, dann zwei,
und ergrünt vor Freud' dabei
Schenkt als Pflanze seinem Retter
einen Kelch voll Blütenblätter.

So wie dieser Keim befreit,
ist der Mensch zur Frühlingzeit.
In des Winters eisg'en Schränken
lagern Mengen finstres Denken.
Doch die schmelzen in der Sonne
schnell dahin und voller Wonne,
qietschvergnügt und guter Dinge
spiel'n im Bauch die Schmetterlinge.

Montag, 19. Februar 2024

Das Kernproblem

Ich möchte hier kurz über das Kernproblem vieler psychischer Probleme sprechen, wie es von Dr. Laurence Heller und Dami Charf erklärt wird.

Also das Kernproblem ist, dass sich Kinder beim Aufwachsen eventuell entscheiden müssen zwischen der Bindung an ihre Bezugsperson und ihrer eigenen Entwicklung. Das Kind wird sich dann immer für die Bindung entscheiden und seine eigene Entwicklung aufgeben. Dabei gibt es 5 Entwicklungsschritte, die gestört werden können: Bindungsfähigkeit (bonding), Einstimmung (attunement), Vertrauen (trust), Autonomie (autonomy) und Liebe/Sexualität.

Der Grund dafür ist, dass Kleinkinder Bindungsfehler ihrer Bezugsperson immer auf sich beziehen, da sie sich noch nicht in andere Personen hineinversetzen können. Sie suchen den Grund für eine Bindungsschwächung, -abbruch oder -missbrauch bei sich und werten sich deshalb selbst herab. Darüber hinaus wird jeder Schritt in Richtung erwachsen werden und jeder eigene Erfolg als Bedrohung der Bindung zur Bezugsperson empfunden, selbst dann noch, wenn man nicht mehr von der Bezugsperson abhängig ist.

Störungen in der ersten Stufe führen dazu, dass sich das Kind als nicht lebens-, liebens-, und bindungswert empfindet. Es hat Scham vor seiner eigenen Existenz, vor seinen Gefühlen und seinem Bedürfnis nach Bindung.  In der zweiten Stufe hat man Angst davor, seine Bedürfnisse zu kommunizieren, also um Hilfe zu bitten. Bei Störung des Vertrauensschritts hat das Kind Scham vor Abhängigkeit, Schwäche und Verletzlichkeit. Störung des Autonomiebestrebens führen zu Angst vor Selbstbestimmung, Autonomie und Unabhängigkeit. Störung der Liebesfähigkeit führen zu Angst vor Intimität und davor, sein "Herz an jemanden zu verschenken", bzw. seine intimen Gedanken mitzuteilen.

Die dementsprechenden Vermeidungs- oder Überlebensstrategien sind: Trennung und Distanzierung (disconnection); Überanpassung und Verschlossenheit; (falsche) Selbstständigkeit, Kontrolle und Stärke; Überanpassung oder übertriebene Autonomie; Perfekt sein wollen, rasch wechselnde, oberflächliche oder überhaupt keine Liebesbeziehungen eingehen.

Mit der Scham und Angst sind auch negative Emotionen und Gefühle verbunden, die eigentlich an die Bezugsperson addressiert sind, aber vom Kind gegen sich selbst gerichtet werden: Scham,Wut, Hass und Angst. Diese Autoaggressionen kommen immer dann zum Vorschein, wenn eine Situation auftritt, in der ein gestörter bzw. nicht erfolgter Entwicklungsschritt abgefragt wird, Bindung, Empathie, Vertrauen, Autonomie, Sexualität. Sie können sich als Depression, Selbstverletzung, Selbsthass oder psychosomatische Phänomene wie Schmerz oder Ohnmacht manifestieren. 

Strategien zur Kompensation gibt es viele. Suchtverhalten, die angesprochene Selbstverletzung, Selbstisolation, Projektion des Hasses auf andere Personen und Personengruppen, Kontrollverhalten sowie im schlimmsten Fall Weitergabe des Traumas an andere über psychischen und physischen Missbrauch.

Der Ausstieg aus diesem Dilemma gelingt laut Heller mit der sogenannten Selbstwirksamkeit, die zwischen dem Kind-Ich mit seinen Überlebensstrategien und dem Erwachsenen-Ich mit seinem größeren Verständnis, logischen Fähigkeiten und Kapazität zur gleichzeitigen Verarbeitung mehrerer Gefühle vermittelt. Dabei hilft, dass man mal schaut, wie die kindlichen Überlebensstrategien mit den erwachsenen Bedürfnissen konkurrieren. Mitzuerleben wie man vom Kind-Ich (Beklemmung) zum Erwachsenen-Ich (Erleichterung) wechselt und zurück. Und dass man lernt Gefühle/Empfindungen zu sortieren.

Ganz recht, erstmal wahrnehmen und dann eine passende Schublade suchen. Passt das Gefühl zu der aktuellen Wirklichkeit? Oder sortieren wir es in eine Vergangenheit? Und wie stehe ich zu den Emotionen und Gefühlen, wie bewerte ich sie selbst? Was wollen sie mir sagen, in welche Richtung möchten sie mich schieben? Welche Palette gibt es?

Gefühle sind manchmal Erinnerungen, die wir in die Zukunft projezieren (memories of the future past). Etwas wird passieren wie schon einmal erlebt, besser vermeiden? Nein, sortieren! Das ist Vergangenheit, jetzt sind wir erwachsen und jetzt sind wir viel stärker! Selbst wenns schief geht, das können wir ab! Soweit die Logik. Jetzt das Gefühl.

Hat man die Emotionen sortiert gilt es nun, sie auszuhalten und nicht gleich wieder wegzudrücken oder in Aktionen zu kanalisieren. Aushalten, abwarten, präsent bleiben. Das trainiert die Toleranz für Emotionen und Gefühle, besonders starke und gemischte Gefühle.

Ein letzter wichtiger Schritt ist echte Trauer. Trauer über das was man verloren hat und was nicht wiederkommt. Trauer über das, was man hätte haben sollen und nicht bekommen hat. Nur mit ehrlicher Trauer kann man abschließen.

Gerade höre ich den Podcast "Raus aus der Depression" mit Harald Schmidt und Ulrich Hegerl. Was man dort über Depression hört deckt sich wahrscheinlich nicht von ungefähr damit, was Dami Charf in "Auch alte Wunden können heilen" über die Dissoziation bzw. den Totstellreflex nach Kindheitstraumata schreibt. Auf Stress reagiert der Körper mit geistiger Distanzierung (Isolation, Angst), mit Herunterfahren der körperlichen Aktivität (Ruhebedürfnis), Appetitlosigkeit etc.

Ein Thema, dass ich hier noch nicht erwähnt habe ist die sogenannte Hypervigilanz oder erhöhte Wachsamkeit. Diese ist für alle Traumata typisch. Man scannt die Umgebung permanent nach Triggerfaktoren, also potentiellen Gefahren ab. Diese Tätigkeit ist ungemein stressig und frisst viel Energie. Man ist andauernd nervös und ängstlich, kann nicht abschalten, aber auch nicht produktiv tätig sein. Da man alles kontrollieren muss, kann man sich nicht mehr auf etwas Bestimmtes fokussieren. Dieser Zustand kann einer regelrechten Erstarrung oder Lähmung gleichen oder sich in nervösen Bewegungsmustern (Ticks wie Fußtippen) oder Kontrollzwängen äussern (etwa auf die Uhr schauen).
Man kann aus Ablenkung oder Nervosität eventuell nichts zu Ende bringen und ist sehr vergesslich.
Abends ist man dann total fertig, obwohl man nichts gemacht hat. Trotzdem kann man vielleicht nicht schlafen, weil man mit dem Schlaf ja die Kontrolle abgeben müsste. Die Wachsamkeit hält einen immer an der Grenze zu einer Notreaktion und Reize spezieller Art können Panik, Aggression (auch verbal) oder ein Abschalten provozieren. Das können Triggerreize sein, aber auch solche, die eine ungewohnte Empfindung hervorrufen.