Dienstag, 3. Juni 2025

Das Mädchen ohne Hände Teil 5

Durch ein Loch im Felsgestein,
schlüpfte sie in eine Halle.
Bleich und dünn bei rotem Wein
warteten die Geister alle,
neben einer vollen Tafel
und im Schein der Kandelaber,
sehr vertieft in ihr Geschwafel,
etwa an die zwölf Kadaver.

“Iss mit uns und stärke dich!”
luden sie die Dame ein,
führten sie dann an den Tisch,
gaben ihr und schenkten ein,
süsse Früchte, Hasenbraten,
kühles Bier und heißen Tee.

“Liebe Frau, lass mich dir raten,
alles was ich vor mir seh,
ist für Lebewesen giftig.”
flüsterte ihr Mantel leise
und sie nahm, der Grund war triftig,
einen Biss von jeder Speise,
einen Schluck von jedem Trank,
doch in Wahrheit spuckte sie
alles unter ihre Bank.

Und erschrocken zuckte sie
als ein Geist sie höflich fragte:
„Wißt ihr wie es vor sich ging,
dass mein Sohn, der stets Verzagte,
plötzlich für Euch Feuer fing
und wie er danach entschieden,
eurer sicher überdrüssig,
sich mit Ihnen zu begnügen?
Das ergibt sich mir nicht schlüssig.“

„Frauchen wir sind selber schuld,
da wir unser Kind beschädigt.“
sprach ein zweiter mit Geduld.
"Und das Schicksal war uns gnädig,
dass das nette Frauenbild
sich mit unserm Sohn vermählte
und dass er auch zu ihr hielt
trotz des Herzstücks, das ihm fehlte.“

"Weil wir beide mangelhaft
und so voller Zweifel waren
hat es wohl für uns gepasst."

sprach die Frau, um fortzufahren:

Donnerstag, 15. Mai 2025

Der glückliche Prinz (Wilde) gereimt

Im Licht der Stadt erstrahlt das Bild des frohen Königsohns,
das auf schlanker Säule in goldner Rüstung thront.
Hoch über der belebten Stadt steht der Prinz auf einem Hügel
und bei seinen großen Füßen ruhn zwei kleine schwarze Flügel.
Besonders sorglos sieht er aus, mit blauen Augensteinen,
die voll heitrer Sanftmut aus runden Lidern scheinen.
Und auch sein schöner Mund untrüglich
lacht, als wär er wirklich glücklich.

Sie ist die letzte Schwalbe der warmen Zeit des Jahres,
denn an einem See erlebte sie viel Wunderbares.
Verliebte sich dort ganz und gar in eine Binsenstange.
Die Schwärmerei währte nur kurz und doch auch viel zu lange.
Das Schilfrohr war zwar elegant, doch war es nicht mobil,
es tanzte gern im Winde und sprach weiter nicht viel.
Die Schwalbe hatte dann genug von einsamen Gelübden,
denn ihre Freunde waren schon längst in Nord-Ägypten.

Sie flog den ganzen Tag und kam des Abends in die Stadt.
„Ob die Stadt für mich schon ein Quartier bereitet hat?“
Dann sah sie auf die Statue. „Hier will ich gern einkehren.
Dieses Bettchen wird mir einen ruhigen Schlaf bescheren.
Das Schlafzimmer ist golden und liegt an frischer Luft
und die Blümchen auf dem Beet verströmen süßen Duft.“

Müde steckt sie ihren Schnabel unter das Gefieder,
da fällt ein großer Tropfen von oben auf sie nieder.
„Wie schrecklich“, ruft sie aufgeregt, „Die Nacht ist sternenklar,
das Klima in Europa ist wirklich sonderbar.“
Noch ein Tropfen „Sage mir, was diese Statue nützt,
wenn sie mich noch nicht einmal vor Wind und Regen schützt?
Ich suche mir ein Dach!“ Jedoch bevor sie losgeflattert,
kommt ein dritter Tropfen, da schaut sie ganz verdattert.

Sie blickt auf und sieht, ja was sieht sie wohl?
Die Augen des so Glücklichen sind der Tränen voll.
Tränen, welche leise hin über goldne Wangen rinnen,
dann hinab zu seinem Kinn, von dem sie zu Boden springen.
Sein Antlitz scheint im Mondeslicht so lieblich und so schön,
dass dem Vöglein danach ist vor Mitleid zu vergehen.
„Wer bist du?“ fragt es besorgt. „Man heißt mich ‚Prinz‘ und ‚glücklich‘.“
„Aber warum“, fragt es noch, "weinst du augenblicklich?"

„Der Ratsherr nennt mich Wetterhahn, die Kinder einen Engel,
doch als ich noch ein Mensch war und fern von dem Gedrängel
der Stadt im Palast Sorgenfrei lebte ohne Leid,
spielte ich im Garten mit Freunden allezeit.
Danach ging es in den großen Saal zu Speis und Tanz.
Den Garten und das Schloss umfing eine Mauer ganz.
So hoch, dass ich niemals fragte, was dahinter lag.
Denn ich war heiter und vergnügt bis zum letzten Tag.
Und jetzt, da ich tot bin, steh ich hier so hoch,
da sehe ich das Elend auf fünfzehn Meilen noch.
Auch wenn mein Herz aus Blei ist und Bronze meine Beine,
kann ich nicht verhindern, dass ich unaufhörlich weine."

"Wie, dein Herz ist nicht aus Gold?" sprach die Schwalbe leise,
doch es war nicht bös gemeint in irgendeiner Weise.
"Weit von hier", so führte die Statue weiter aus,
"steht in einer Gasse ein kümmerliches Haus.
Durch das offne Fenster seh ich eine arme Frau,
an einem Tische sitzen, dünn und müd und grau.
Sie hat raue Hände, von Nadeln ganz zerstochen.
Ihr Blick ruht auf dem Tagwerk, glanzlos und gebrochen.
Blumen stickt sie auf ein Kleid, aus Seide jeder Zoll,
dass eine reiche Dame zum Hofball tragen soll.

In der Zimmerecke liegt ihr Junge krank im Bett
und träumt von Apfelsinen, die er gerne hätt.
Wasser, braun vom Fluss, ist alles was den Bub erfrischt.
Ich bitt dich, dass du den Rubin von meinem Schwerte brichst.
Schwalbe, kleine Schwalbe bitte nimm diesen Rubin.
Der Näherin und ihrem Sohn ans Fenster bringe ihn.
Meine Füße sind an diesem Postament befestigt
und das wäre mir bei jedem Schritte denkbar lästig.“ 

„In Ägypten werde ich schmerzlich schon ersehnt.“
spricht die Schwalbe nachdenklich, langsam und gedehnt.
„Meine Freunde drehn am Nil artig Rund um Runde
und den Lotus preisen sie mit Lobgesang im Munde.
Bald werden Sie im Grab des großen Königs schlafen gehen.
Er ist selbst in einem schmucken Sarge dort zu sehen.
Da liegt er sorglich eingehüllt in gelbem Tuch aus Leinen und
um den Hals liegt eine Schnur aus grünen Jadesteinen.
Seine Hände runzeln sich wie trocknes Laub an Bäumen,
Balsamduft begleitet ihn in seinen Fabelträumen."

"Bleib Schwalbe, kleine Schwalbe, sei nicht so widerborstig.
Die Mutter ist so traurig, der Knabe ist so durstig."
Darauf sagt die Schwalbe "Leider mag ich keine Knaben,
weil sie häufig Steine in den Hosentaschen haben.
Letzten Sommer, als ich am Flusslauf Mücken fing,
sahen mich die Söhne der Frau Müllerin.
Zahlreich schwirrten Kiesel, die sie nach mir warfen,
die, weil ich kunstreich fliege, mich aber nicht trafen.

Trotzdem sehr respektlos!“ weiter kommt sie nicht,
denn sie sieht des Prinzen trauriges Gesicht.
So tut er der Schwalbe leid. „Hier wirds kühl beileibe,
doch es kann nicht schaden wenn ich eine Nacht noch bleibe.“
„Ich dank dir, kleine Schwalbe!“ Sie nimmt den Stein vom Knauf
und schwingt sich über Dächer und Türme hoch hinauf.
Am Dom grüßt sie die Engel auf ihrem Himmelsritt,
beim Schloß sieht sie ein Pärchen im Wiener-Walzer-Schritt.
Sie üben für den Hofball an einer Balustrade,
er lobt den Sternenhimmel, sie sagt indes "Schade!
Mein Kleid ist noch nicht fertig, die Näher sind so müßig.
Mit Blumen wollt ich es bestickt, mit langem Warten büß ich.“
Die Schwalbe sieht am Hafen die Schiffslaternen leuchten
und vor der Bar Matrosen, die Kehle sich befeuchten.

Sie fliegt zum kargen Häuschen und schaut zaghaft hinein.
Der Knabe hustet fiebrig, die Mutter döst grad ein.
Die Schwalbe hüpft zu ihr und in den Fingerhut der Alten
legt sie den Rubin um dann die Flügel zu entfalten.
So fächert sie am Kissen dem kranken Kinde Luft
auf die feuchte Stirne, auf dass es leise ruft
„Ich glaub, mir geht es besser.“ Die Schwalbe fliegt hinaus,
zurück zum goldnen Prinzen und richtet ihm gleich aus,
was sie für die Mutter und das arme Kind getan.
Sie meint „Es ist schon seltsam, doch mir ist richtig warm.“
„Ja, das ist der guten Tat wonniglicher Segen“,
sagt er und das Schwälbchen fängt an zu überlegen.

Doch der Schlaf, der kecke Dieb, raubt ihr die Konklusion
und dann küsst das Morgenlicht ihre Lider schon.
Morgens fliegt die Schwalbe zum Flusse um zu baden,
man sieht sie dort in Pfützen plantschen und auch waten.
Die Schwalbe murmelt vor sich hin „Heut flieg ich nach Ägypten.“
Dann tut sie einen Freudenschrei, einen ganz entzückten.
Sie macht einen Ausflug zu den Denkmälern der Stadt
und die Spatzen fragen sie, wo sie den Frack herhat.

Vom Kirchturm segelt sie beschwingt, als schon der Mond aufgeht,
hin zu ihrem Prinzen, der darauf besteht,
"Schwalbe, kleine Schwalbe, bleibe nur noch eine Nacht!"
"Ich muss doch nach Ägypten." sagt die Schwalbe mit Bedacht.
"Morgen wollten wir hinauf zum zweiten Wasserfall,
dort kaut das Nilpferd Flusskraut im heißen Königstal.
Memnon, der Koloss sitzt auf dem Thron die ganze Nacht
und wartet auf den Morgenstern, der ihn sehr glücklich macht.
Es gehn zur Mitternacht die gelben Löwen Wasser trinken,
sie haben grüne Augen, die wie Berylle blinken.
Ihr Brüllen, das ist lauter noch als das des Wasserfalles…“

„Schwalbe, kleine Schwalbe, das glaub ich dir ja alles!
Weit von hier, am Stadtrand, seh ich einen jungen Mann,
der sein Theaterstück nicht zu Ende bringen kann.
Er hat krause Haare und Lippen, rot wie Blut. 
Gerne hätte er in seinem Ofen warme Glut.
Lieber noch als Feuer wünscht er sich etwas zu essen
und über diese Sorgen hat er seine Kunst vergessen.
Welke Veilchen stehn auf seinem Schreibtisch unterm Dach
und seine feinen Hände sind schon vor Hunger schwach.”
“Eine Nacht noch will ich gern bei dir verweilen.
Hast du einen anderen Rubin, um ihn zu teilen?”
So spricht das kleine Vöglein aus seinem guten Herzen.

“Ich hab nur meine Augen, doch eins kann ich verschmerzen.
Saphire sinds, vor tausend Jahrn aus Indien gebracht.
Picke einen aus und bring ihn ihm noch heute Nacht."
"Lieber Prinz, das kann ich nicht..." spricht die Schwalbe unter Tränen.
"Mach nur, Schwälbchen, du brauchst dich doch nicht darum zu grämen."
Darauf pickt die Schwalbe des Prinzen Auge aus
und fliegt zu des Studenten Kammer hoch oben im Haus.

Sie kommt ganz leicht hinein, denn im Dach da ist ein Loch,
Schiesst hindurch, zum Bett und hüpft dann zum Schreibtisch hoch.
Sein Haupt, das hat der junge Mann vergraben in den Händen.
So merkt er nicht, wer bei ihm ist, um sein Geschick zu wenden.
Ein Luftzug geht, er sieht den Stein bei den Veilchen liegen
Und ruft freudig “Man beginnt, endlich mich zu lieben!
Ein Verehrer sicherlich, von meinen Kurzgeschichten.
Nun muss ich nicht länger mehr auf Brot und Holz verzichten.”

Am nächsten Tage fliegt die Schwalbe noch einmal zum Hafen.
Sie sitzt auf einem Schiffsmast und schaut da auf die braven
Matrosen, wie sie schwere Kisten ziehn an starken Seilen
aus dem Schiffsbauch, um erneut zum Laderaum zu eilen.
Sie bücken sich und schwitzen sehr und schrein wie die Verrückten
"Hebt an!" Das Vöglein ruft zurück: "Ich reise nach Ägypten!"
Doch hört sie niemand und deshalb, als der Mond aufgeht,
fliegt sie dahin, wo des Prinzen Schatten sich bewegt.

"Mein Prinz, ich bin gekommen um dir Lebewohl zu sagen!"
"Kleine Schwalbe, kannst du deinen Abflug nicht vertagen?"
"Der Wetterumschwung ist schon da und bald liegt hier der Schnee.
In Ägypten wärmt die Sonne den Manzala-See.
Krokodile liegen träg im Schlamm unter den Palmen.
Meine Freunde bauen ihr Nest aus Lehm und Halmen
im Tempelhaus von Luxor, wo die blaßroten Tauben,
stets gaffen und frech gurren, es ist kaum zu glauben!
Lieber Prinz, ich muss nun fort, ich lasse dich alleine.
Nächstes Frühjahr bring ich dir zwei neue Edelsteine.
Der Saphir soll blauer sein als das Firmament,
der Rubin rot wie die Lava, die im Ätna brennt." 

"Unten auf dem Platz, da steht ein Streichholzmädchen.
Ihr fielen die Hölzer heraus aus ihrem Lädchen
in den Rinnstein und so sind alle sie verdorben.
Ihr Vater wird sie schlagen, denn sie hat nichts erworben.
Weinend steht sie da, ganz ohne Strümpf und Schuhe.
Ihr kleiner Kopf ist bloß und das lässt mir keine Ruhe.
Picke, kleine Schwalbe, mein and'res Auge aus
und bringe es zu ihr noch auf dem Weg nach Haus."

"Mein Prinz, ich kann verstehen, was du fühlst für dieses Kind.
Jedoch dein Auge nehm ich nicht, denn danach wärst du blind!"
"Schwalbe, kleine Schwalbe, bitte tu, wie ichs dir sage."
Die Schwalbe nimmt das Auge nun ohne weitre Klage.
Sie lässt den Stein beim Mädchen in der hohlen Hand.
„Hoppla, kleiner Bote, wer hat dich gesandt?
Dieses blaue Glasstück sieht ja prächtig aus!“
ruft sie und sie rennt aufgeregt nach Haus.

Die Schwalbe fliegt zum Prinzen und spricht „Du bist jetzt blind.
Darum wirds für immer sein, dass wir zusammen sind.“
„Schwalbe, kleine Schwalbe, du musst nach Süden gehen.“
"Ach armer Prinz, das kann nun nimmermehr geschehen.
Ich will von heut an immerdar für dich zugegen sein."
sagt sie und sie schläft zu seinen Füßen ein.
Sie sitzt am nächsten Tag auf des Prinzen Goldgewändern
und erzählt viel Wundersames aus den fernen Ländern.

Wie die roten Ibisse stehn in Reih und Glied
und Goldfisch fangen aus dem Nil, der seinen Reichtum gibt.
Von der großen Sphinx, die selbst so alt ist wie die Welt,
die in einer Wüste lebt und schwere Fragen stellt.
Von Kamelen und Kaufleuten, die den gelben Sand durchschreiten
und den Bernsteinperlenketten, die durch ihre Hände gleiten.
Vom König der Mondberge, der so schwarz ist wie die Nacht,
der einen mächtgen Bergkristall anbetet und bewacht.
Von Pygmäen, die auf Blättern über Wasser gleiten
und sich immerfort mit den Schmetterlingen streiten.
Und von der grünen Schlange, die im Palmbaum schläft
und sich von zwanzig Priestern mit Honig füttern lässt.

"Schwälbchen du erzählst mir manche Seltsamkeit,
doch geheimnisvoller noch ist das Menschenleid.
Wie des Elends Wunde ist kein Wunder tief.
Flieg durch meine Stadt und sage mir was man dort sieht."
So fliegt die Schwalbe durch die Stadt, schaut wie in den schönen
Häusern dort die reichen Leute ihrem Luxus frönen.
Unterdes die Bettler vor geschlossnen Türen sitzen.
Dann sieht man die Schwalbe durch die engen Gassen flitzen.
Die hohlwangigen Kinder starren da mit ihren blassen
Gesichtern teilnahmslos und traurig auf die düstren Straßen.
Unter einem Brückenbogen sind zwei kleine Jungen,
die einander wärmen und liegen, eng umschlungen.
"Wie hungrig sind wir!" rufen sie. "Nicht auf die Wege legen!"
brüllt der Wächter und sie irr'n nach draußen in den Regen.

Da fliegt die Schwalbe zu dem Prinz, setzt sich und berichtet.
Der Prinz spricht zu ihr "Ich bin ganz mit feinem Gold beschichtet.
Lös es Blatt für Blatt und schenke es den Kindern.
Weil goldne Dinge nämlich der Menschen Armut lindern."
Blättchenweise zupft sie nun das feine Gold vom Rumpf,
bis der edle Prinz ganz grau aussieht und stumpf.
Jedes Blatt des reinen Goldes bringt sie an sein Ziel.
Die Kinder lachen und sie rufen froh bei ihrem Spiel:
"Hurra, hurra, jetzt haben wir endlich wieder Brot!"
und vor lauter Leben glühen ihre Wangen rot.

Dann kommt der Schnee und auch der Frost, sie schmieden Silberbänder,
aus den Straßen und die Menschen tragen Pelzgewänder.
Zapfen hängen spitz vom Dach wie Dolche aus Kristall,
die Kinder laufen Schlittschuh mit Wollmütze und Schal.
Die kleine Schwalbe friert und friert und doch sie ist geblieben,
denn sie hat sich ihrem Prinzen ganz und gar verschrieben.
Sie stiehlt beim Bäcker Krümel vorm Tore jeden Tag
und wärmt sich heftig flatternd mit ihrem Flügelschlag.

Endlich aber merkt sie, dass sie sterben muss.
Sie schwingt sich auf die Schulter. "Ich geb dir noch einen Kuss
auf deine Hand und lebe wohl, mein lieber, guter Prinz!"
"Schwälbchen, wie sehr freut mich der Wandel deines Sinns.
Dass du endlich und so spät nach Ägypten ziehst.
Und küsse mich nur auf den Mund! Ich weiß, dass du mich liebst."
"Nicht nach Ägypten reise ich, nur in des Todes Haus,
der Tod ist Schlafes Bruder, ich ruhe mich nun aus."

Dann küsst sie den glücklichen Prinzen auf die Lippen
und die Schwäche lässt sie nach hinten über kippen.
Lautlos fällt sie hin zu seinen Füßen in das Weiß
und es ertönt ein Krachen, so wie von dünnem Eis.
Zerborsten ist das Herz aus Blei, es herrscht ja starker Frost
und in einer andern Welt finden sie nun Trost.

Hoch oben, hoch im Himmelreich steht der Prinz auf einem Hügel
und bei seinen großen Füßen ruhn zwei kleine schwarze Flügel.
Besonders weise sieht er aus, mit blauen Augensteinen,
die voll heitrer Sanftmut aus runden Lidern scheinen.
Und auch das Schwälbchen ganz untrüglich,
wirkt als wär es wirklich glücklich.

Samstag, 26. April 2025

Das Mädchen ohne Hände Teil 4

Weit entfernt, auf einer Insel,
stand ein Grabmal an der See.
Efeu wuchs in jedem Winkel,
Mauern ragten aus dem Schnee.
"Wo die Wälder düster rauschen
und das Meer die Boote wiegt,
warten wir verwest und lauschen,
wie die Welt vorüberzieht.
Wir sind vom edlen Feengeschlecht,
doch liegen wir im Staube nieder,
bis bei großem Widerrecht
die alte Pracht erhebt sich wieder."

So sang der Wind und trug die Dame
langsam hin zum Boden dann,
die nun die Inansichtnahme,
der Versammelten begann.
Nymphen, Sylphen, Salamander,
Irrlichter und Wassermänner,
standen schimpfend beieinander
und man kam auf einen Nenner."

Dem Erdenreich, in großen Nöten,
seines Hauptes bös' beraubt,
sind zur Seite wir getreten.
Doch die Frage sei erlaubt:
Wo ist eure Anteilnahme,
wo ist euer Kontingent?"
"Ihr habt Recht.", sprach da die Dame
und hat ihren Stab geschwenkt.

Im Abendrot, getränkt in Flammen,
kamen Gnome, Faune, Trolle,
und Zentauren bald zusammen.
"Wenn ich Euch Respekt auch zolle,"
sprach der Herr der Seen und Meere,
als er aus den Reihen trat,
"aber selbst wenn alle Heere
man am Platz versammelt hat,
ist die Frage, welchen Gegner
man damit zu fällen denkt,
ob man mit Gewalt, verwegner,
oder List und Tücke kämpft."

"Laßt die Lage uns beraten."
schlug der Feuerkönig vor,
"Ungelegte Eier braten,
das ruft Hunger nur hervor."
So ließen sie sich auf der Lichtung
vor dem Königsgrabmal nieder
und sie schauten in die Richtung
des Geschehens dort hinüber.

Es saßen vor der Grabeshalle
zwei Figuren, schwarz und weiß.
Die Dame rief "Ach, sind das alle?"
Die Herren zischten “Seid doch leis!”
“Sie sind nur zwei, jedoch sie spielen
Töne, die immens betören.
Sieh die Krieger, die dort fielen,
schlafen, ohne aufzuhören.”

Von drüben kam nun leise, klagend,
eine Flötenmelodie,
Süßes Fordern mit sich tragend,
ihr zu folgen bis ans Ziel.
Ja und dann rannte sie querfeldein,
sprang über Stock und Stein
und dabei sah sie nicht mal,
wer auf dem Boden schlief,
oder wer nach ihr rief.
Das war ihr völlig egal.

“Ach, da bist du ja, mein Liebes!”
sprach der Engel hocherfreut.
"Nur der erste Teil des Spieles,
und ich hab ihn schon bereut."
grummelte der Teufel neidisch,
und rief: "Doppelt oder nichts!
Prüfen wir, ganz unparteiisch
ob sie hält, was sie verspricht!“

Die Dame sprach: „Du bist der Teufel,
der mir meine Hände nahm.“
„Ja, da stimmt, ganz ohne Zweifel,
und auch deinen Ehemann.“
"Nur den halben wirst du haben."
fing der Engel an zu lachen
"Die andre Hälfte liegt begraben,
wo die Feengeister wachen.

Diese Gruft wird streng behütet,
und du hast den Zugang nicht.
Die Gelegenheit gebietet,
da du einverstanden bist,
dass wir eine Wette schließen,
aufs Neue, ob die Königin,
wirklich steiget in die Tiefen,
um zu bergen, was darin.“

„Er ist bei Euch? Das will ich sehen,
als Beweis, dass Ihr nicht lügt.“
„Schau, du Herrscherin der Feen,
was in meinen Händen liegt!"
Der Teufel hielt in seinen Pranken
einen dunkelroten Stein.
Die Dame sagte, in Gedanken,
"Das kann nicht mein Gatte sein."
Der Kristall fing auf ihr Reden
an zu leuchten und zu pochen
und sie schluckte, fragte bebend:
„Teufel, was hast du verbrochen?“
„Das ist aber ungerecht!
Lass uns bei der Sache bleiben.
Machen wir ein Tauschgeschäft
mit dem Engel hier als Zeugen.
Dieses ist ein Herz, ein halbes,
und gehst du durch diese Tür
und bringst mir das andre halbe,
geb ich dir etwas dafür."

„Ich will meinen Ehemann.“
„Den kann ich dir gerne geben.
Ich will euer Söhnlein dann,
als ein Leben für ein Leben.“
Die Königin ging darauf ein,
sagte: „Alles wird sich fügen.“
und der Engel kam herbei,
mahnte: „Kind, lass dich nicht trügen!

Ich sag dir, du kommst nicht mehr
aus der Hexengruft heraus.“
Der Teufel sprach: „Was ist so schwer?
Das ist nur ein Knochenhaus.
Ich glaub schon, dass sie es schafft,
Eure werte Arroganz.
Also sei es abgemacht!
Schluss jetzt mit dem Firlefanz.“

Die Tore gingen schleifend auf,
als sie an die Pforte schlug
und es kam ein schwacher Hauch,
der noch Schatten mit sich trug.
Die Dame schritt beherzt ins Nichts,
auf breiten, ausgehaunen Stufen.
Ihrem Stab entsprang ein Licht
und dann hörte man sie rufen:
„Wie nützlich dieses Zepter ist!“

Wie sie lief, mit jedem Schritte,
wandelte ihr Umriss mit,
schwarz und fein wie Scherenschnitte,
wechselnd jeden Augenblick.
Manchmal dünn und manchmal breit,
zuckend, springend, Fratzen schneidend,
mal ein Wolf, zum Sprung bereit,
mal wie eine Schlange gleitend.
Als viel Zeit vergangen war
und sie das Gefühl verlor,
wo sie war und wann sie war,
drangen Schritte an ihr Ohr.
Sie hallten, wie die eigenen,
von einer Wand zur andern Wand,
bis auf der sich neigenden
Kurve noch ein Licht entstand.

Sie näherte sich angsterfüllt,
stand Angesicht zu Angesicht,
und blickte in ihr Spiegelbild
und sagte dann ganz lange nichts.
Ihr Konterfei sprach rauh und trocken:
„Hab gesucht und nichts gefunden
und die Geister hier gesprochen,
die an diesen Ort gebunden.

Glücklichsein ist uns verwehrt,
wärn wir nur zu Haus geblieben
warm am elterlichen Herd,
statt den König gar zu lieben,
etwas, dass wir nicht verdienen,
etwas, dass wir nur gestohlen.
Lass den Rückweg uns beginnen,
dass ist’s, was wir wirklich wollen.“

„Weißt du, wer mein Vater ist?“
frug die Dame, um zu prüfen.
„Arm und niedrig, ganz gewiss!“
„Komm wir gehen in die Tiefen,
du mein andres, falsches Ich.
Sei geherzt und sei willkommen.
Leg als Mantel dich um mich.
Hoppla, du hast Platz genommen!”

Montag, 21. April 2025

Die Lehren des E. A. Poe

Physikalisch richtig und doch phänomenal übertrieben schilderte Edgar Allan Poe bereits 1841 die Abdrift schnöder Holzboote und Fässer in den Gezeitenstrom zwischen den Lofoteninseln. Aber genau so wie der Held fährt auch die Seele zum Grund. Sie klammert sich an ein Holzfass und hofft nicht zu ertrinken. Die grimmigen Seeleute, die, taub und blind ob der Gefahr, schweigend ihre Arbeit verrichten, sind, was ihr von den Menschen zufällt. Mit ihnen zu sprechen ist Verzweiflung. Und dann ist da noch das Haus Usher, ein marodes Schloss auf sumpfigem Grunde, bewohnt von kranken und geisteskranken Adeligen. Ein Hort zwielichtiger Erscheinungen und Geräusche, der mit dem ihm innewohnenden Sterben noch vor Anbruch des Tages versinkt, allein der Gast kann fliehen. Das sind die inneren Landschaften, wer nur Gast ist, wer weglaufen kann, der berichte. "Nur eine Schauermär, Schauermär..." "Nein, es ist alles wahr!"

Einen unbefangenen Augenblick lang könntest du eine andere Welt entdecken, ganz ohne zu träumen, aber ins Träumen geraten. Während du im Internet bist, sitzt du in Wahrheit zwischen zwei Spiegeln. Jeden Tag, den du die Aussenwelt vergisst, rutschst du eine Reflektion weiter in den Hintergrund, immerfort, bis es dich irgendwann nicht mehr gibt. Und um so weiter du in den Hintergrund gerätst, desto mehr wehrst du dich, wirst noch zappeliger und ausgefallener, um aufzufallen und deine anderen Spiegelungen klatschen vielleicht ab und an Beifall.
Poe schrieb 1842 die Kurzgeschichte "Das ovale Portrait" in der eine junge Frau, während sie von ihrem Gatten detailversunken in ein Bild gemalt wird, langsam stirbt. Er hat damals nichts vom Internet gewusst, wohl aber etwas von Obsession und Sucht. Willkommen zwischen den Spiegeln.