Montag, 30. Juni 2025

Das Mädchen ohne Hände Teil 5

Durch ein Loch im Felsgestein,
schlüpfte sie in eine Halle.
Bleich und dünn bei rotem Wein
warteten die Geister alle,
neben einer vollen Tafel
und im Schein der Kandelaber,
sehr vertieft in ihr Geschwafel,
an die hundertzwölf Kadaver.

“Iss mit uns und stärke dich!”
luden sie die Dame ein,
führten sie dann an den Tisch,
gaben ihr und schenkten ein,
süsse Früchte, Hasenbraten,
kühles Bier und heißen Tee.

“Liebe Frau, lass mich dir raten,
alles was ich vor mir seh,
ist für Lebewesen giftig.”
flüsterte ihr Mantel leise
und sie nahm, der Grund war triftig,
einen Biss von jeder Speise,
einen Schluck von jedem Trank,
doch in Wahrheit spuckte sie
alles unter ihre Bank.

Und erschrocken zuckte sie
als ein Geist sie höflich fragte:
„Wißt ihr wie es vor sich ging,
dass mein Sohn, der stets Verzagte,
plötzlich für Euch Feuer fing
und wie er danach entschieden,
eurer sicher überdrüssig,
sich mit Ihnen zu begnügen?
Das ergibt sich mir nicht schlüssig.“

„Frauchen wir sind selber schuld,
da wir unser Kind beschädigt.“
sprach ein zweiter mit Geduld.
"Und das Schicksal war uns gnädig,
dass das nette Frauenbild
sich mit unserm Sohn vermählte
und dass er auch zu ihr hielt
trotz des Herzstücks, das ihm fehlte.“

"Weil wir beide mangelhaft
und so voller Zweifel waren
hat es wohl für uns gepasst."
sprach die Frau, um fortzufahren:
„Freundschaft, Achtung und Geduld
sind die Bänder unsrer Liebe.
Sagt, wer hatte denn die Schuld,
wer schnitt denn so jung die Triebe
seines Herzens auseinander?“

„Ja, das war ein schweres Los.
Doch, mein Kind, das ist ein langer
Faden, den ich spinnen muss.
Reicht mir eure Hand zum Tanz,
lasst uns ein paar Runden drehen,
dann erzähle ich euch ganz,
was vor Jahren ist geschehen.“

Aus den Knocheninstrumenten
drangen grässliche Geräusche
zu dem Geisterdirigenten
und es hielten sich die Bäuche,
oder was davon geblieben,
alle, die den Jammer hörten
und die Stimmung war gestiegen
weil es quietschte, quäkte, röhrte.
Seit dem Jahr drölfhundertacht
oder wars drölfhundertneun
hat man nicht mehr so gelacht,
ach, wie war der Unfug fein.

Alles war alsbald gestimmt,
ausgebürstet und gereiningt
und das Tanzbein schwang beschwingt,
auch die Dame war beteiligt,
manche Königin samt Gatten.
„Meine Werte, Sie gestatten,
dass ich ihnen jetzt erzähle,
was seit einer Weile schon
brennt und liegt auf meiner Seele.“

Weiter ging’s im ernsten Ton:
„Es traf Dereinst zwei Feenkindlein
ein bemerkenswerter Fluch,
als ein Händler war mit Kästlein
im Palaste zu Besuch.
Brachte Seifen und Gewürze,
Weihrauch und auch Haushaltswaren,
Lampen, Öle, ja in Kürze,
Dinge die die Sinne laben.

In der Nacht, die darauf folgte,
fand der Junge, also ich,
wie er auf dem Boden tollte,
eine Lampe unterm Tisch.
Er brachte sie zu seiner Freundin,
die ihm auch als Braut versprochen,
und sie applaudierte freudig,
und kam aus dem Bett gekrochen.

Als wir mit der Lampe spielten,
fuhr ein Wind durch unser Haar.
worauf wir uns reizbar fühlten,
zornig und auch sonderbar.
„Gib es mir! Nein es ist meine!“
balgten wir uns um das Ding.
Und wir sagten dann gemeine
Worte als es weiter ging:

„Du bist hässlich!“ „Du bist dumm!“
Kaum, das wir es laut gesagt,
schrie ein Stimmlein barsch herum
„Kinder, die ihr es gewagt,
mich nach fünfzehnhundert Jahren 
aufzuwecken aus dem Schlaf,
euch soll Schlimmes widerfahren!“


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