Mittwoch, 22. April 2020

Der Kampf des Immunsystems mit dem Corona-Virus

In diesem Post möchte ich einen spanischen Zeitungsartikel über die Immunreaktion auf das  Coronavirus übersetzen. Er ist im Original in El Pais erschienen. Unterlegt habe ich den Artikel mit Bildern von "Cells at Work", ein Anime über den menschlichen Körper.

"Die Zeit spielt zugunsten des neuen Coronavirus. Ein einzelnes SARS-CoV-2-Viruspartikel kann in nur 24 Stunden bis zu 100.000 Kopien von sich selbst erstellen, indem es menschliche Zellen als Zombie-Brüter benutzt. 


Stattdessen dauert es 15 bis 21 Tage, bis das Immunsystem vollständig auf das Virus reagiert. Das menschliche Immunsystem ist jedoch eine der raffiniertesten biologischen Maschinen, die es gibt. Es besteht aus zig Milliarden Zellen, die hoch spezialisiert sind, um Krankheitserreger zu lokalisieren und zu zerstören. Deshalb gewinnen unsere Abwehrkräfte in den meisten Fällen den Kampf gegen das Coronavirus. So machen sie es.

1. Verteidigungslinie:

Fast unmittelbar nachdem das erste Viruspartikel in eine Zelle eingedrungen ist, kommen die ersten Mitglieder des Immunsystems in die Arena: Makrophagen. Dies sind keim- und trümmerfressende Zellen, die in fast jedem Gewebe des Körpers vorhanden sind. In diesen ersten Momenten der Infektion kommt auch noch eine andere Art von Immunzellen ins Spiel, die nie aufhören zu beobachten: die NK (natural killer) Killerzellen.

Die Makrophagen finden das Virus und verschlingen es. Die Lysosomen, spezielle Organellen in den Makrophagen, die fremdes Material abbauen, zerstören das Virus. Der Abfall (Fragmente von Virusprotein und RNA) dient als Vorlage (Antigene), damit andere Zell-Spezialeinheiten wissen, wie man das Virus erkennt und abtötet.



Wenn die Infektion nicht schwerwiegend ist, reichen die Makrophagen, um das Virus zu beseitigen. Dies ist wahrscheinlich das, was den meisten Menschen passiert. Deshalb verursacht das Coronavirus in 80% der Fälle keine oder nur leichte Symptome.

Wenn die Makrophagen den Eindringling jedoch nicht besiegen können, schlagen sie Alarm damit Verstärkung kommt. Sie tun dies, indem sie Zytokine produzieren. Das sind Proteine, die Entzündungen kontrollieren und hervorrufen. Erste Symptome: Husten, Fieber, Unwohlsein. Zytokine (speziell Interleukin-6 oder IL6) erzeugen nicht nur lokale Entzündungen. Diese Moleküle wandern durch das Blut zu anderen Organen: dem Gehirn, der Leber und dem Knochenmark.

Im Hypothalamus des Gehirns beeinflussen sie das thermoregulatorische System der Körper-temperatur, das Fieber erzeugt. Diese Grundfunktion löst einen allgemeinen Großalarm aus.
In der Leber regen sie die Produktion von reaktivem Protein C an. Das Protein ist dafür verantwortlich, infizierte Zellen zu finden und den Prozess zur Zerstörung oder Selbstzerstörung (Apoptose) zu starten. Die Leber erhöht auch das Level von Ferritin, in dem das Eisen unseres Körpers gespeichert ist.
Das Knochenmark wiederum produziert, aktiviert von den Zytokinen, mehr Makrophagen, die nun noch mehr Zytokine herstellen. Ein Teufelskreis, der zum Kollaps führt.

Die beiden sogenannten Marker Protein C und Ferritin werden zusammen mit anderen Markern verwendet, um von Ärzten vorherzusagen, bei welchen Patienten schwerwiegende Komplikationen auftreten werden, da sie bei Patienten mit schlechterer Prognose viel höher sind. Viele der Todesfälle durch Covid-19 besonders auch bei jungen Menschen sind auf einen "Zytokinsturm" zurückzuführen, eine Überladung mit entzündlichen Proteinen, die schließlich das Immunsystem zusammenbrechen lässt. 

Das kann passieren, wenn Makrophagen die Infektion nicht selbst beheben können. Die von Makrophagen ausgestoßenen Zytokine verstärken die Herstellung neuer Makrophagen und diese produzieren weitere entzündliche Zytokine, was dazu führen kann, dass das Immunsystem erschöpft zusammenbricht. 

Der andere Akteur in der ersten Reaktionslinie des Körpers ist die NK-Killerzelle, deren Aufgabe es ist, infizierte Zellen zu lokalisieren und zu zerstören. NK-Killer-Zellen wandern durch den Körper und überprüfen, ob alle Zellen gesund sind. Alle gesunden Zellen sind mit Proteinen bedeckt, die als Passierschein für die Killerzellen dienen. Wenn die Zelle vom Virus infiziert ist, verliert sie diese Proteine. NK-Zellen erkennen das und zerstören die infizierte Zelle.




2. Verteidigungslinie:
  
Dendritische Zellen sind das Bindeglied zwischen der ersten und der zweiten Verteidigungslinie. Sie verschlingen auch Teile des Virus und transportieren diese durch das Lymphsystem zu den Knoten, die wie Kasernen sind, in denen die übrigen Mitglieder des Immunsystems warten. 


Die dendritischen Zellen präsentieren das Virus den Helfer-T-Lymphozyten. 



Die T-Helferzellen erzeugen nun Zytokine, die die T- und die B-Lymphozyten aktivieren. Sie lassen zytotoxische T-Lymphozyten (T-Killerzellen) frei, die in der Lage sind, durch den Blutkreislauf zu wandern. Wenn sie die Infektionsstelle erreichen, zerstören sie die infizierten Zellen. 



Die B-Lymphozyten konfrontieren das Virus oder Antigen direkt. Es gibt Millionen Varianten von B-Lymphozyten. Jede hat eine bestimmte Art von Antikörper, die wie ein Schlüssel ist.



Wenn ein B-Lymphozyt seinen Schlüssel perfekt in das Virusschloss stecken kann (ein Protein in seiner äußeren Hülle) beginnt er damit, Tausende von Kopien von sich selbst zu erstellen. Diese Lymphozyten werden dann in Plasmazellen umgewandelt, die durch das Blut zu allen Geweben wandern. In den Geweben startet das B-Lymphozyt Antikörper gegen auffindbaren Viruspartikel.
Diese Antikörper heissen Immunoglobulin M (IGM) und Immunoglobulin G (IGG).

IGM-Antikörper sind die erste Angriffswelle der Antikörper. Sie sind 9 bis 12 Tage nach dem Auftreten der ersten Symptome nachweisbar. Sie sind Moleküle mit 10 Armen, mit denen sie sich eventuell an eines der Virusproteine ​​binden, es blockieren und andere Organismen wie Makrophagen zur Zerstörung des Virus auffordern.


IGG-Antikörper, die zweite Welle, sind nach 14 bis 21 Tagen nachweisbar. Sie haben nur zwei Arme, sind aber viel besser dafür geeignet, sich an das Virus zu binden, es zu blockieren und andere Immunzellen zu Hilfe zu rufen. Zusätzlich helfen diese Antikörper den Killer-Zellen, sich an die infizierte Zelle zu binden und diese zu zerstören. 

Wenn alles gut geht, erholt sich die Person und wird gesund, behält jedoch ein Immungedächtnis und Antikörper. Manchmal erzeugt dieser ganze Prozess aber wie gesagt einen "Zytokinsturm", der den Körper mit entzündlichen Proteinen überlastet. Diese lassen schließlich das Immunsystem zusammenbrechen und führen zum Tod des Patienten. 

Das Immunsystem altert auch, wodurch ältere Menschen häufiger an Komplikationen leiden oder an Covid-19 sterben. Eine der wichtigsten unbeantworteten Fragen bei dieser Pandemie ist, wie lange die erworbene Immunität nach einer Infektion anhält. Bisher wurde beobachtet, dass es bis mindestens 39 Tage nach Auftreten der ersten Symptome Antikörper gibt. Derzeit laufen Studien, um festzustellen, ob diese Wirkstoffe länger vorhanden sind und ob sie das Virus Monate nach der ersten Infektion noch neutralisieren können. Ähnliches passiert mit Lymphozyten. Die vollständige Immunantwort beinhaltet die Produktion von Gedächtnislymphozyten, die die Infektion nach langer Zeit wieder erkennen und eine Immunantwort neu starten können, die das Virus in sehr kurzer Zeit abtötet. Derzeit gibt es in Spanien und anderen Ländern Studien zur mittelfristigen Menge und Wirksamkeit von Lymphozyten. In diesem Sinne wurde beobachtet, dass einige Patienten eine korrekte angeborene Immunabwehr aufweisen, ihre Lymphozyten jedoch stark geschwächt sind, was zu schwerwiegenden Komplikationen und sogar zum Tod führen kann. Eingehende Untersuchungen von Antikörpern und Immunzellen sind entscheidend für die Entwicklung eines wirksamen Impfstoffs. Wenn die Immunantwort unvollständig oder kurzlebig wäre, wäre es schwieriger, im Laufe der Zeit eine wirksame Immunisierung zu entwickeln, was zur Beendigung dieser Pandemie wesentlich ist."




Dienstag, 21. April 2020

Was ist eigentlich Vernunft ?

Beim Schauen der Diskussion zwischen Herrn Friedman und Herrn Grün schien es mir, als stünde eine logische Definition des Begriffes "Vernunft" im Raum, aber 45 Minuten sind eben zu kurz für sowas. Hier also nun mein Senf dazu, der sich ziemlich nah an Immanuel Kant orientiert.

Meiner Meinung nach ist ja Gott ein Axiom, zu dessen Verehrung die Regeln der Religion Stück für Stück postuliert und mit moralischen Logiken verknüpft wurden. Kant meinte übrigens, Gott wäre ein Postulat der moralischen und sittlichen Vernunft. Was ist nun aber Vernunft?

Vernunft ist ein Konstrukt aus Wunsch oder Wille (Axiom), Regel (Postulat) und Begründung (Logik) in Einzahl oder Mehrzahl. Aus einem vielleicht sogar emotionalen Wunsch heraus werden Regeln postuliert, die dafür sorgen, dass der Wunsch respektiert und erfüllt wird. Diese Regeln werden mit rationaler oder irrationaler Begründungslogik verknüpft, meist sogar mit einer Mischung aus beiden. Diese Logiken können auf individuellen oder kollektiven Erfahrungen beruhen (Wetter), aber auch erfunden sein.

Wie im oben genannten Gespräch schon anklang, gibt es eine individuell praktikable Vernunft, die auf Eigennutz fußt und eine kollektive Vernunft, in der die Standpunkte Vieler gemittelt oder normiert sind. Eine weitere Kategorisierung der Vernunft könnte in geistiger und materieller Vernunft bestehen.

Eine kollektive Vernunft wäre zum Beispiel das juristische Gesetzeswerk, die Religion, aber auch die Moral (Sittlichkeit), handwerkliche Verfahren, Demokratie oder Stilformen und Spiele aller Art. Eine individuelle Vernunft wäre zum Beispiel eine Berufswahl (Berufung), Partnerwahl, ja Auswahlprozesse jeglicher Art, aber auch Selbstbilder, Ideale und Rituale.

Natürlich können individuelle und kollektive Vernünfte kollidieren, ja verschiedene Vernünfte an sich kollidieren oft. Dann muss sprachlich oder auch körperlich argumentiert werden, überzeugt oder verführt. Die Regeln werden dadurch neu ausgehandelt, die Vernünfte adaptiert. Die Vernunft ist also auch der Evolution unterworfen.

Im Gegensatz zum Verstand, der eine Gehirnfunktion ist, ist die Vernunft ein Prozess des Verstandes, der emotionale und rationale Sachverhalte in Einklang (Ordnung) bringt und dafür sorgt, dass materielle und geistige Dinge eine bestimmte angestrebte Ordnung einnehmen. Damit ist eine Vernunft ein Ordnungsprozess. Vernünfte sind im Gedächtnis gespeichert.

Ähnlich schwammig wie der Begriff "Vernunft" erscheint der Begriff "Welt". Aber so wie die Vernunft ein Ordnungsprozess des Verstandes ist, ist die Welt ein Wahrnehmungsprozess der Ordnung. Indem der Verstand eine Vernunft wahrnimmt, erkennt er eine Welt. Um den Kreis nun zu schließen, ist auch das Axiom, der Wunsch nach einer bestimmten Ordnung, die Wahrnehmung einer zukünftigen Ordnung, eine zukünftige Welt. Am schönsten zeigt sich die Verwandtschaft von Welt und Vernunft im Wort Weltbild. Ein Weltbild ist eine kanonisierte Vernunft, ein Ordnungsprozess. Da Ordnungsprozesse auch als Ordnung wahrgenommen werden können, ist die Wahrnehmung eines Weltbildes eine Welt.

Auch mit dem Wort "Sinn" (der Sinn des Ganzen etc.) können wir gleich hier aufräumen, er ist nämlich synonym mit dem Wort Vernunft.

Nun könnte es einem die Idee kommen, dass auch Welt und Vernunft dasselbe seien, schließlich ist die Wahrnehmung von Ordnung mit dem Schaffen von Ordnung im Verstand innig verknüpft. So innig, dass man dieser Einheit einen neuen Namen geben sollte. John Locke hat es "Reflexion" genannt. 

Dass Welt und Vernunft so nahe beieinander liegen, hat den Menschen zum Irrtum verleitet, hinter der natürlichen Ordnung läge eine außermenschliche Vernunft. Natürliche Dinge haben ihre Eigenschaften, die ihr Verhalten bestimmen. Die Ordnung der Eigenschaften und des Verhaltens ist natürlich, die Erkenntnis derselben aber menschlich und die begründende Logik dazu erst recht. Die Natur ist also geordnet durch ihre Eigenschaften, aber nicht vernünftig. Die Welt als vom Mensch wahrgenommen Ordnung trägt hingegen bereits den Stempel der menschlichen Erkenntnis, die begründende Logik den der menschlichen Vernunft. Mathematik ist die menschliche Sprache, die Natur zu verstehen, nicht die "Sprache der Natur". Da sie sich aus der Abzählbarkeit der Natur ableitet ist sie der Natur ähnlich, geht aber durch Abstraktion über sie hinaus.

Dass die Welt eines Menschen beeinflusst ist von seinen Vernünften hat noch eine andere interessante Implikation. Der Mensch ist durch seinen kindlichen Lernprozess mit einem Inventar an Vernünften ausgestattet. Ein Gutteil dieser Vernünfte kommen von außerhalb, von anderen Menschen. Wächst der Mensch heran, treten die Vernünfte in einen inneren Konflikt. Dadurch kommt es zu einem teils emotionalen, teils rationalen Aufräumen des Vernunftinventars, welches man als Erwachsenwerden bezeichnet. Im Idealfall wird dadurch eine Metavernunft erreicht, eine Innere Ordnung der Vernünfte, eine Art Kanon oder auch Kodex, eine Geisteshaltung (Mindset, Weltbild). In der Metavernunft spiegelt sich auch die vernetzte Natur der Vernünfte wieder, ihre Verknüpfungen untereinander und dass eine Vernunft Folgevernünfte erzeugt.

Die Metavernunft findet man schließlich auch in Regelwerken wie Gesetzestexten. Verfassungen zum Beispiel fungieren als Metavernunft eines Staates, ihnen ordnen sich andere Vernünfte, Regeln, Gesetze, Aktionen und Verlautbarungen unter. 

Die schlechtesten, aber auch die besten Leistungen des Menschen entstehen durch Fehler: das Verknüpfen von Regeln durch irrationale Begründungslogik, interne Welten und Vernünfte mit externen zu verschmelzen und die erwähnte Verwechslung von Natur mit Welt und Vernunft sind Beispiele.

Treue Begleiter von Vernünften sind Gefühle. Jede Vernunft ist von Gefühlen umhüllt, jede Welt von Gefühlen gefärbt. Das Gefühl ist quasi die Eierschale der Vernunft, es ist eine der sogenannten Randbedingungen. Deswegen sind Kompromisse und Überzeugen so schwierig.

Präzisieren wir nun noch das Wort Logik. Sowohl Schritt zwei, die Regel als auch Schritt drei, die Begründung, enthalten eigentlich Logik, der eine eine strategische „wenn-dann“ Logik, der andere eine erklärende „deshalb“ Logik. Beide Logiken sind korrumpierbar, also anfällig für irrationale Logik. Überprüft man eine Vernunft, kann man sie auf Konsistenz (Wunsch, Regel und Begründung bauen aufeinander auf und ergeben keine Widersprüche), aber auch auf Transparenz (die Begründung verdeckt oder erklärt den Wunsch) und Rationalität (die Vernunft ist naturwissenschaftlich verankert) testen. Platon nannte diese Überprüfung in seinem Buch "Der Staat" Gerechtigkeit. Auch das Wort Idee muss noch konkretisiert werden. Idee bedeutet grundsätzlich Wahrnehmung. Alle drei Teile der Vernunft sind Ideen, wie auch die Welt eine Idee ist.
 
Das erarbeitete Vernunftmodell hat nun ganz praktischen Nutzen. Die Eigenschaften, Neigungen und Herangehensweisen von Persönlichkeitstypen steuert sich nämlich ursprünglich aus grundlegenden Wünschen wie Sicherheit, Bequemlichkeit, Sozialkontakt/-distanz, Geltung, Macht, Freiheit, Gestaltung, Empathie, Ordnung, Neugier, Belohnung, körperliche und geistige Betätigung. Verkäufer zum Beispiel kennen die Wünsche ihrer Kunden. Wünsche konkurrieren miteinander und können sich sogar neutralisieren. Kooperation und Verstärkung gibt es aber auch.
 
Einer der interessantesten Wünsche, welcher das neoliberale Zeitalter prägt, ist Geltung (sozialer Status). Geltung bevorzugt Extroversion, Intuition und Urteilen. Geltung stärkt aber auch die Neigung zum Lügen und Imitieren und damit zu irrationaler Logik, mit der die Begründung von Regeln und Handlungen erfolgt. Geltung konkurriert mit Empathie, Sicherheit und Bequemlichkeit und wird verstärkt durch Neugier, Macht und Gestaltung. Weitere Wünsche, die mit irrationaler Logik verknüpft sind, sind Sicherheit, Gestaltung, Sozialkontakt und Macht. Mit diesen fünf hat man schon das ganze Drama der Propaganda und Fake News im Blick.

Die Konkurrenz und Kooperation der grundlegenden Wünsche macht das Vernunftsmodell auch geeignet für die Persönlichkeitsgestaltung von künstlichen Intelligenzen. Grundwünschen können hier Werte zugewiesen werden, aus diesen Werten ergeben sich Differenzen (Debuffs) konkurrierender Wünsche und Additionen (Buffs) unterstützender Wünsche, aus diesen Settings können dann die Regelwerke für das Handeln des Charakters erstellt werden, die Begründungen für diese sowie die inneren Konflikte.

Wie beim Aufstellen von mathematischen Modellen können Randbedingungen aufgestellt werden, welche die Wunscherfüllung beeinflussen und die bei der Regelaufstellung beachtet werden müssen. Randbedingungen können zum Beispiel Klima, Gesetze, Ressourcen etc. sein. Wunscherfüllung kann scheitern, wenn der Wunsch oder die Regeln zum Beispiel illegal sind. Will man gegen die Randbedingungen spielen, werden oft irrationale Logiken benutzt, es wird also betrogen. Alternativ können die lokalen Randbedingungen außer Kraft gesetzt werden. Manchmal müssen die Randbedingungen auch erst ermittelt werden. Ideal ist der Pfad des geringsten Widerstandes durch die Randbedingungen. Zu den Randbedingungen gehören auch Körperfunktionen und Geistesfunktionen wie Gefühle und Gedächtnis. 

Unklar definierte Wünsche sind eines der größten Menschheitsprobleme überhaupt, etwa wenn man nach Glück oder Zufriedenheit strebt. Was aber bedeutet das genau? Deshalb können sowohl Wünsche als auch Regeln geplant und entwickelt werden. Zur Regelfindung kann Induktion und Deduktion benutzt werden, also Trial-and-Error oder es wird auf Erfahrungen zurückgegriffen, aus denen Regeln abgeleitet werden können. Zur Erfüllung eines Wunsches ist es hilfreich, wenn einander unterstützende Vernünfte einen Kanon ergeben.

Kognitive Dissonanz kann auftreten, wenn man einem Wunsch gefolgt ist, der sich als Fehler erwiesen hat. Eventuell war der Wunsch gar kein eigener, sondern ein gesellschaftlich oder familiär eingepflanzter. Sie kann auch auftreten, wenn irrationale Logik zum Selbstbetrug verwendet wurde.

Mit jeder Vernunft treten Unterwünsche in Erscheinung, die der Absicherung sowie der Konservierung des Wunsches, der Regeln, der Begründungen und der geschaffenen Strukturen dienen. Daraus ergibt sich Logistik (Beschaffung), Progress- und Prozessmanagement (Kontrolle), Sanierung, Restaurierung, Tradition und Geschichtsschreibung (Dokumentation). 

Hier nun können wir die Vernunft endlich zirkularisieren. Regeln, Begründungen und Kontrolle (Wahrnehmung) sind alles Strategien, die bei der Erfüllung des Wunsches helfen können. Es geht am Ende also nur von Wunsch über Strategie wiederum zu Wunsch.
 
Betreiben wir nun ein wenig Horkheimer-Adorno. Der Wunsch nach Wiederholung des Wunsches erzeugt einen Prozess. Dies stellt den Machtanspruch über die Randbedingungen dar. Der Wunsch nach Optimierung des Prozesses manifestiert diesen Anspruch noch mehr, geht es weiter bis zu Vereinheitlichung und Standardisierung des Prozesses, kommt noch die Deutungsmacht dazu. Der Wunsch nach Dokumentation bedeutet Machtanspruch über die Zeit. Der Wunsch nach Vorteilsnahme durch den Prozess bedeutet Machtanspruch über andere Individuen (geistiger Besitz, Patent- und Urheberrecht). Der Wunsch zum destruktiven Missbrauch des Prozesses dient oft der Machtergreifung, dem Machterhalt oder der Vergeltung. Durch den Missbrauch oder negative reale Folgen wird der Prozess negativ emotionalisiert und ggf. entwertet und zerstört (siehe Atomenergie).
So können Prozesse auch taktisch behindert werden, indem sie irrational negativ emotionalisiert werden (siehe Windenergie). Fügen wir hier noch den Begriff der positiven Revolution durch Etablierung, Optimierung und Vereinheitlichung von Prozessen und den der negativen Revolution durch Zerstörung und Entwertung von Prozessen hinzu. 
 
Jeder Machtanspruch unterliegt der Möglichkeit des Missbrauchs. Positive Revolution kann auch negative Revolution zur Folge haben. Der individuelle Prozess selbst entspricht nicht der Vernunft, sondern seine Abstraktion bzw. das Wissen darüber.
Adorno setzt Vernunft und Aufklärung gleich als Erfassung von Unbekanntem in Mengen und deren Beziehungen untereinander. Dies führt ihmzufolge zu einer starken Reduktion an Vielfalt in der Wahrnehmung und zu einer Entfremdung in der Wahrnehmung, da man sich nicht mehr aufs Gegenständliche konzentriert, sondern auf das Abstrakte. Außerdem sind alle Formeln, die aus den Mengen an natürlichen Phänomenen und ihren Relationen abgeleitet werden, korrumpierbar durch irrationale Logik, ob strategisch oder zufällig. Das bedeutet, dass rationale Vernünfte immer wieder neu erstritten werden müssen, ja regelmäßig wie von Unkraut befreit werden müssen.

Mit jeder Vernunft können aber auch Kopien entstehen (andere Personen entwickeln einen ähnlichen Wunsch) oder auch Veränderungswünsche. Da jeder Schritt einer Vernunft neue Vernünfte erzeugen kann, ist die entstehende Struktur wie bereits erwähnt netz- oder baumartig. Die Visualisierung einer Vernunft kann deshalb in einer Mindmap erfolgen. Das Gedächtnis bestimmt, wie entwickelt sich ein Wunsch präsentiert. Wünsche können wie Matrioschkas ineinander verschachtelt sein, man kann dann von einer Vision sprechen. Frei nach Schopenhauer ist die niederste Form des Wunsches der Wille, etwas, das wir heute Bedürfnis nennen würden. Wenn wir nun dieses Bedürfnis dem Wunsch noch voranstellen, haben wir eine Erklärung dafür, dass viele Menschen das eine wollen, sich aber etwas anderes wünschen oder gar nicht wissen, was sie wollen, wenn sie sich etwas wünschen.
 
Die höchste Form des Wunsches ist die Vorstellung (Achtung, nicht Wahrnehmung), die wir schon als Vision benannt haben. Zerstörerisch oder kriminell wird der Mensch, wenn er versucht, seinen Wunsch gegen ungünstige Randbedingungen durchzusetzen. Das kann durch Dummheit geschehen, wenn man die Randbedingungen nicht zu ermitteln imstande ist, aber auch durch kühle intellektuelle Berechnung. Der Kampf gegen die ungünstigen Randbedingungen ist aber auch der Stoff für Heldengeschichten und wissenschaftliche Durchbrüche. 

Ab wann nun ist ein Mensch vernunftbegabt? Wenn er in der Lage ist, zu begründen. Die Sprache ist also eine notwendige Voraussetzung. Kritische Vernunft bedeutet die Möglichkeit der Überprüfung oder Hinterfragung der Vernunft auf Transparenz, Konsistenz und Rationalität sowie der Abgleich mit und die Bildung der kollektiven Vernunft. 

In der der Mathematik ist die Vernunft aufgebaut aus Axiom, Regel-Postulat, Formulierung der Randbedingungen und der Beweis-Vermutung, welcher später noch der Beweis folgt. In der physikalischen Realität kann nichts bewiesen werden, es können nur Fakten überprüft werden. Vernunftsbegründungen können deswegen nicht nur rational, sondern auch strategisch sein.