Die einfachste Erklärung ist die, dass der Zyklus einfach mittendrin gestartet ist, ohne Anfang und ohne Ende. Dazu passt, dass alles 1986/87 mit dem Experiment des Uhrmachers Tannhaus in der Originalwelt beginnt und das Atomkraftwerk in den Spiegelwelten schon steht. Alle Figuren müssen sich dort in eine Handlung fügen, die obwohl sie gerade begonnen hat, schon lange so läuft. Die Geschichte ist recht starr und lässt nur minimale Änderungen zu, welche aber die Hauptereignisse nicht beeinflussen. Das Ganze kommt erst dann aus dem Gleis, als ein Schlupfloch entdeckt wird (der Zeitstillstand während der Apokalypse). Da die Zeit in dieser Variante quasi eingefroren oder kristallin ist, Zukunft, Vergangenheit und Gegenwart gleichzeitig existieren, ist es völlig egal, wer der erste Zeitreisende ist, da die Idee einer Abfolge sinnlos wird.
Die zweite Erklärung ist die, dass Claudia in den beiden neuen Spiegelwelten das Zeitreisen und später auch das Dimensionsreisen gestartet hat. Claudia hat demnach die erste Zeitmaschine entworfen und gebaut, im Zeitraum nach 1986. Später lässt sie das Zeitmaschinenbauen vom Uhrmacher Tannhaus erledigen, der dafür 33 Jahre braucht. Dann hätte sie ihren Enkel Bartosz in das Jahr 1888 gebracht, wo er Hanno und Agnes zeugt, vielleicht noch nicht mit Silja, die ja Hannas und Egons Kind ist. Auch Trontes Vater mag hier noch nicht der Namenlose sein, sondern jemand anderes. Die Stammbäume wechseln also mit der Zeit und das Unheil wird perfektioniert. Mikkel kann als weiteres Beispiel das erste Mal nicht mit Jonas nach 1986 gereist sein. Der Höhepunkt der "Schöpfung" und gleichzeitig der Tiefpunkt der Degeneration und Bosheit ist der Namenlose, er ist der Anfang und das Ende. Die Beweggründe für Claudias Experimente bleiben im Dunkeln, vielleicht ist es Wissensdrang, möglicherweise Schöpferdrang. Die Rettung ihrer Tochter Regina scheint eher ein schwaches und sicher kein ursprüngliches Motiv. Eher wirkt Claudia wie eine Art Gottesfigur mit den drei Phasen Schöpfung, Erhaltung und schließlich Zerstörung.
Die dritte Möglichkeit ist die, dass Jonas und Martha, als sie den Knoten zwischen den drei Welten am Ende auflösen, diesen nur durchtrennen. Die Spiegelwelten werden nicht zerstört sondern nur abgekoppelt und neugestartet. Eine passende Erklärung wäre dazu eben jene Quantenverschränkung, die alternative Persönlichkeiten schafft. Als Jonas und Martha den Knoten zerstören, entstehen gleichzeitig zwei Alter Egos von ihnen. Diese beiden "Kopien" sind nun die allerersten Zeitreisenden in den neugestarteten Spiegelwelten und dazu passt auch
die Szene, in denen sie sich gegenseitig als Kind im Schrank begegnen. Das Schöne ist, dass sich Erklärung drei nahtlos in Erklärung zwei einfügt. Die Zerstörung des Knotens wird nämlich von Claudia initiiert. Claudia verliert nun eventuell ihren Job als eingreifende Göttin, da sie ihren Vorsprung und ihr Herrschaftswissen über das Zeitreisen abgibt. Adam und Eva alias Jonas und Martha könnten nun ihre eigene Welt nach ihren Wünschen erschaffen, mit der Zeitmaschine als Paradiesapfel.
Autoren, die im Zusammenhang "Dark" lesenswert sind: Kurt Vonnegut (Schlachthof 5, Zeitreisen, Schicksal, kristalline Zeit), Diana Wynne Jones (Das Leben des Christopher Chant, Parallelwelten) H.G. Wells (Die Zeitmaschine, Zeitreisen), Stephen King (Der Anschlag, Zeitreisen, Zeitstränge), Carl Jung (Gesamtwerk, psychologische Deutungen der Bibeltexte), Richard Dawkins (Der blinde Uhrmacher, Evolution versus Schöpfung), John Webster (Der weiße Teufel, blutiges Familiendrama), Michael Ende (Momo, Zeitstillstand), Arthur Schopenhauer (Die Welt als Wille und Vorstellung), Madeleine L´Engle (Die Zeitfalte, Zeitreisen und das "Paradies" der totalen Kontrolle), Henrik Ibsen (Gespenster, Familiendrama), J.K. Rowling (Der Gefangene von Azkaban, Zeitreisen, Zeitmaschine) und als letztes noch Douglas Adams und seine Anhalter-Trilogie.
Liest man die „Ring“-Trilogie von Koji Suzuki, drängt sich einem noch eine weitere, recht konventionelle Erklärung auf, die dafür schlüssig ist. In „Dark“ geht es viel um Theater, in der amerikanischen Serie „Once Upon a Time“ entspringt die gesamte Handlung der Feder eines Autors, in „Matrix“ gibt es eine Virtuelle Realität. Auch in „Ring“ gibt es eine Parallelwelt, die in einem Computer abläuft. In dieser Parallelwelt passieren magische, paranormale Dinge. Genauso könnten in Dark die zwei Spiegelwelten Simulationen sein. In Simulationen nämlich lassen sich beliebig Artefakte (wie etwa eine Zeitmaschine) und neue Handlungsstränge einfügen. Esoterik und Naturwissenschaften können ungezwungene Verbindungen eingehen. Für den Start dieser Simulation gäbe es keinen festgeschriebenen Zeitpunkt.
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