Mittwoch, 14. August 2019

Aufklärung und Erleuchtung

Wie muss man sich die buddhistische Erleuchtung vorstellen: nach jahrelangem Traktieren des Gehirns mit Absurditäten, Mantras, Askese, Poesie und Rätseln durchfährt einen plötzlich ein Geistesblitz.
Doch dieser Blitz enthält keine fassbare Idee, sondern nur Intuition. Plötzlich fühlt man sich eins mit allen Kreaturen und Dingen. Dieser barmherzige Akt unseres Körpers ist sicher für einige zufriedenstellend. Aber war das schon alles?
Wie erhaben war dagegen die europäische Aufklärung. Intuition wurde zu Idee, wurde zu Wissen.
Könnte man nicht auch in die buddhistische Erleuchtung ein wenig logisches Licht hinein bringen?

Ich denke schon. Eine Variante der zen-buddistischen Verwirrspiele beruht auf Mapping, auf dem Aufeinanderabbilden von nicht zusammenpassenden Dingen. "Buddha mit dem Sonnengesicht, Buddha mit dem Mondgesicht", etc. Warum grübeln? Daraus lässt sich doch herrlich lernen. Zumindest poetisch betrachtet geht es bei Vergleichen doch nur um die Perspektive. So kann man locker Steine mit Vögeln und Vögel mit Fischen vergleichen. Da kommt es doch nur auf das Medium und den Zustand an, in dem sie sich befinden. Und was kommt dabei heraus? Verschiedenes kann einander ähneln, bei bestimmter Betrachtung, bei anderer Betrachtung kann ähnliches sich deutlich unterscheiden. Vorurteile ade.

Eine andere Variante besteht aus Trennung, die Hand, die nicht alleine klatscht, der Baum der kein Geräusch verursacht, wenn niemand zuhört, der Raum, der leer (von Geist) ist, obwohl er voll ist, die Abkehr von Heiligkeit und Ritual. Hier lernt man, dass alles miteinander verbunden ist in Wirkung-Ursache-Wirkung und das Erkenntnisse weder Status noch Willkür bedürfen.

Die letzte Möglichkeit ist die Transformation, die poetische Königsklasse, die noch über die vorgenannten hinausgeht. Warum soll ein Mensch nicht ein Nasenaffe sein, ein Frosch der durchs hohe Gras hüpft oder ein Wind der durch die Berge weht, ja eine mit Schnee gefüllte Silberschale? Diese Poetisierung der Wirklichkeit ist zugegebenermassen logisch schwerer zu erfassen. Hier könnte man höchstens psychologische oder kulturhistorische Erkenntnisse gewinnen. Und genau hier ist die gewünschte Wirkung angesiedelt: die psychologische Flexibilisierung, die Selbsterkenntnis und die Auflösung des Egozentrismus. Das Ich erkennt sich in anderen Dingen und Lebewesen, und da es viele Dinge sein kann, braucht es nicht mehr zentriert zu sein.

Donnerstag, 1. August 2019

Mathematische Relationen in der Kreativität

Mathematische Grundoperationen finden sich auch im kreativen Arbeiten, der Ideenfindung und -ausarbeitung. Die einfachsten Operationen sind ja die Addition und die Subtraktion oder Zusammenfügen und Trennen. Die Addition ist auch das Zusammenfügen von Teilideen zu einem großen Ganzen und der Vergleich, die Gegenüberstellung, der Kontext, die Zuordnung, die Parallele. Die Multiplikation ist eine technische Variante der Addition, die angibt, wie oft eine Zahl mit sich selbst addiert werden soll. In der Kreativität entspricht das dem Sampling bzw. der Vervielfältigung, simultanen Vorgängen (Ebenen) sowie Flächigkeit und Räumlichkeit. Die Potenzierung ist eine weitere Entwicklung, die erklärt, wie oft eine Zahl mit sich selbst multipliziert werden soll, die Integration schließlich ist ein sequentielle Addition.

Bei der Subtraktion gibt es die Division, die Wurzel und die Differentiation. Die Division sagt wie eine Subtraktion so vor sich gehen soll, dass mehrere gleich große Teile entstehen. Die Wurzel ist die Umkehrung de Potenzierung und findet heraus, welche Zahlen wie oft mit einander multipliziert worden sind, um die Zahl, deren Wurzel ermittelt werden soll, zu erhalten. Die Differentiation ist wieder die sequentielle Substraktion. Wie man sich sicher schon vorstellen kann, hat die Addition und ihre Varianten eher einen aufbauenden, synthetischen, konstruktiven Charakter, der ja eher der Vorstellung von Kreativität entspricht. Ader auch die Subtraktion hat einen wichtigen Beitrag in der Analyse, dem Verstehen, der Abstraktion, der Vereinfachung, der Einteilung, der Unterteilung, im Takt und Rhythmus, der Planung, Schnittmustern oder Schnittfiguren, dem Schnitzen und der Bildhauerei.

Pfeffer und Schwung in das Ganze bringen nun Transformationen. Diese können geometrischer Natur sein und erzeugen flächige oder räumliche Muster und Strukturen wie zum Beispiel die Spiegelung, Drehung, Verschiebung und so weiter (Mandalas und ähnliches, aber auch Versmaß und Origami). Geometrie ist ja sowieso die bildliche Darstellung mathematischer Sachverhalte.
Es geht aber auch chaotisch, das Resultat sind selbstähnliche Bilder und Strukturen oder Fraktale wie etwa Batik- oder Klecksmuster.

Weiter geht es mit Funktionen. Funktionen sind nichts anderes als Herumprobieren, deswegen haben sie Variablen, die man ändern kann. Kreativität probiert natürlich auch ständig herum. Das sequentielle Abarbeiten von Aufgaben nennt man mathematisch Algorithmus, ansonsten schlicht Plan oder Prozess, also auch der künstlerische Prozess beim Entstehen eines Werkes oder der Wiedergabe eines Werkes. Laufen parallel mehrere Arbeitsschritte ab, sind kombinierte Funktionen am Werk, die einfachsten davon sind Reihen. Parallelisierung findet man aber eben auch im Film und Musikschaffen bei Ensembles und Orchestern sowie Firmen aller Art.

Ein weiteres Spielfeld ist die Vektormathematik, im Künstlerischen findet man sie wieder in der Projektion und der Verzerrung (z.B. Satirisch). So weit so gut.


Samstag, 27. Juli 2019

In der Werkstatt des Uhrmachers

„Fragen : Diese unseligen Kinder der rastlosen Geistes verlangen nach Variationen des Unabänderlichen und führen zum Widerspruch. Frage also: Hat Gott den Menschen erfunden oder der Mensch Gott? Der Gedanke von Gott enthält alles und ist doch menschlich. Er ist eine persönliche Version. Eine Variation des Unabänderlichen. Ein Widerspruch. Gott ist dem Menschen sehr ähnlich, er ist ein Macher, Veränderer, Zerstörer und Schöpfer. Also ist er nicht eins. Sondern viel. Wie eine Schublade enthält er verschiedene Dinge, die alle dazugehören. Und zwar alle. Denn er ist die Beschreibung für alles das um uns und in uns ist. Der Name dafür ist genauso sinnlos wie alle Namen. Aber eine Hilfe, um Unfassbares fassbar zu machen. Wie bei der Luft. Also ist Gott da, in Form einer Idee von Präsenz. Präsenz ist keine Idee. Luft ist keine Idee. Das ist die äussere Wahrnehmung.

Vakuum, Dunkelheit und Kälte sind Defintionen von Nichtpräsenz. Nicht präsentes ist nicht präsent. Nichtpräsenz ist eine Idee. Von etwas, dass da sein müsste aber nicht da ist. Gott ist eine Idee von Nichtpräsenz. Eine Idee von einer Idee, ein Traum von einem Traum. Eine Variation. Träume unterscheiden sich, Träume widersprechen sich. Das ist die innere Wahrnehmung. Glauben wir an den Widerspruch: Widersprechen wir Gott. Suchen wir nach unseren Träumen.“

Müde blickte ich auf den vollgekritzelten Bogen Papier herab, ein weiterer nutzloser Versuch von vielen und wahrscheinlich nicht der letzte. "Was war es noch, wonach ich gesucht hatte? Was die Welt im Innersten zusammenhält? Die letzte unteilbare Wahrheit? Das Elementarteilchen? Was uns die Physik gibt, sind Elektronen, Quarks, Photonen, die sich benehmen wie ewige Halbstarke: sie lassen sich nicht definieren, leben in den Tag hinein, versammeln sich in Cliquen und verpuffen ihre ganze Energie beim Sex. Sie bestehen aus Widersprüchen. Das sollen unsere Fundamente sein? Woraus besteht ein Widerspruch?" 

Doch alles, auf was ich mich zu konzentrieren versuchte, floh meinem Geist in ähnlich schwammigen Ergüssen wie diesen. Ich seufzte, nahm einen Schluck direkt aus der Rotweinflasche (eine weitere und wahrscheinlich nicht die letzte) und stierte aus dem nachtschwarzen Fenster. Wie grau mein Haar schon geworden war, seit ich in dieses Zimmer kam, dachte ich und über diesem Gedanken muss ich wohl eingeschlafen sein. Ich fiel aus dem Schlaf direkt in die Werkstatt des Uhrmachers. 

Er starrte fassungslos aus seinem Monokel, dann fasste er sich : „Ah, Besuch! Können nicht mehr anklopfen, die jungen Leute, was?“. Er war ein kleiner, bulliger Mann, mit Halbglatze, einem lustigen weissen Haarkranz und blauem Kittel. Es umgab ihn eine Aura von aufrichtigem Stolz. Nun etwas freundlicher, als er gesehen hatte, das ich nicht minder erschrocken war als er, legte er die kleine silberne Pinzette, die er in der Hand gehalten hatte, auf den Tisch und holte zu einer einladenden Geste aus: „Nur zu, schauen Sie sich um!“ und ging wieder an seine Arbeit. Zuerst warf ich einen Blick durch die halbgeöffnete Tür. Ich befand mich in einem geräumigen, wahrscheinlich zweigeschossigen Haus im Kolonialstil mit weitläufigen Fensterfronten und viktorianischen Möbeln. 

Durch das Fenster sah ich Felsen, das blaue Meer und eine üppige Vegetation. Dann drehte ich mich wieder um und sagte im verbindlichen, warmen Tonfall und einem Hauch von Ehrlichkeit: „Schön haben Sie es hier.“ Was man eben so sagt, wenn man zu Gast ist. „Das soll wohl!“ antwortete er fröhlich, ohne sich umzudrehen. Eine riesige Werkbank dominierte den Raum, darauf einige unfertige silberne und goldene Apparate unbekannter Art, filigrane Federn, Schrauben und Räder. Auch Werkzeuge. An den Wänden befanden sich Regale mit Folianten und Papierrollen, sowie Kästen mit Kleinteilen. Eine Lampe, die gleichzeitig Lupe war, erhellte den Tisch und offenbarte noch zwei einfache Schemel, die das Interieur des Raumes abrundeten. 

„Ich bin Uhrmacher. Unruhen und Regulatoren und so weiter. Hoffe, sie kennen sich aus?" sagte der Mann plötzlich und wandte sich nun wieder mir zu. "Und ich mache Universalkonzepte.“ „Sowas wie Universen?“ „Ja, dreidonnernocheins, was habe ich denn gerade gesagt?“ „Eben dies.“, beschwichtigte ich, „Kennen sie dann auch das Kugelweltkonzept?“ Er schaute mich säuerlich an, als habe ich im gerade ins Bein gebissen. „Warum interessiert sie das?“ fragte er leise und herausfordernd. Und dann fügte er hinzu „Davon will ich nichts hören, Bursche. Lassen Sie die alten Geister ruhen. Das ist kein Ruhmesblatt für einen Mann in ihren Jahren, die Kenntnis dieser Kugelweltsache. Gehen sie auf Weibersuche. Das ist weitaus interessanter uuund vergnüglicher.“ „Ich komme aber daher. Aus der Kugelwelt.“, sagte ich schlicht.

Oh, ach, Sie armer.“ Sein stolzer Habitus sackte in sich zusammen. „Dann werden sie Fragen haben? Setzen wir uns.“ „Ja: Was ist es, was die Welt im Innersten zusammenhält? Was ist die letzte unteilbare Wahrheit, das eine Elementarteilchen?“ „Sie kommen gleich auf den Punkt.“ seine Mundwinkel zuckten „Das gefällt mir, haha!“ Und er schlug mir auf die Schulter. „Geradeheraus, mein Sohn: Die Idee war simpel. Polarität, Widerspruch, Unterscheidung durch Trennung und Teilung, plus und minus, hier und da. Mehr habe ich gar nicht dazu beigetragen. Wer konnte denn ahnen. Das ganze Konzept ist mir unter der Hand explodiert.“ „Nanu, was ist denn passiert?“ „Es gab eine Reihe ganz unerfreulicher Folgen, von denen eine der furchtbarsten gerade die Vereinigung war.“ 

„Sie meinen den Urknall?“ „Ja, genau. Glücklicherweise oder auch nicht beinhaltete die Idee auch ein mehr und ein weniger. Und dann waren da noch Zeit und Raum. Aus dem Dazwischen. Schnell und langsam, alles geriet in Bewegung und Wandlung, man wurde ganz verrückt.“ Er rollte mit den Augen, dann kratzte er sich an der Nase: „Und dann hat es sich einfach immer weiter geteilt, immer weiter. Immer weiter, verstehen Sie?“ „Verstehe.“ „Sie verstehen nicht! Immer weiter! Jede Teilung gebar unendlich viele neue Teilungen! Und Vereinigungen! Und dann das SCHLIMMSTE, WECHSELWIRKUNGEN!“ 

Jetzt wurde er laut. „Wechselwirkungen führten zu Information und Information führte zu Codes. Codes führten zu Leben. Und da, wo es endlich anfing, interessant zu werden, kamen nur die Schnecken und Würmer. Das war mir zuviel. Mir wird schlecht von Würmern, verstehen Sie?“ Ich sagte nichts. Leiser fuhr er fort: „Seitdem guck ich nur noch ab und zu rein. Fische und Dinosaurier, was? Jede Menge Käfer? Maulesel? Wie seit ihr denn zurecht gekommen? Habt ihr etwas erreicht?“ „Wir können bald klonen.“ „Wie bitte?“ „Mit ihren Worten: Herstellung einer Kopie ohne Vereinigung.“ „Ist das nicht langweilig?“ „Denken sie an Anfang und Ende. Das Ende ist schwer zu verkraften.“ „Ahh. Soo. Ein bischen unsportlich, was? Na macht mal.“ lachte er. „Aber als leidenschaftlicher Golfer gebe ich Ihnen einen Tipp: spielen Sie Ihren Ball, wo er liegt. Tasse Tee?“ „Gerne.“ „Gehen wir nach Draussen in den Garten!“ An einem kleinen Holztisch unter üppig blühenden Büschen unterhielten wir uns -beim Tee- weiter. 

„Wir haben auch Theorien, wie alles kam. Genaugenommen zwei: Eine geht von einem Schöpfer, Ihnen, aus, der alles mit einem Schlage schuf, die andere von einer Sache namens Evolution, der langsamen Entwicklung der Arten durch Selektion und Anpassung. Was ist ihre Meinung?“ Der Uhrmacher bohrte den Finger in die Luft und zeigte auf meine Brust. „Beides Richtig: alles wurde auf einmal geschaffen, aber nur als Möglichkeit. Die tatsächliche Ausführung der Möglichkeit läuft über Affen, Molche und Maulesel. Möglickeiten erzeugen Wahrscheinlichkeiten. Als logische Folge entsteht die Möglichkeit der Entstehung der Variation gleichzeitig mit der einfachen Orginalidee. Als Folge des Widerspruchs ergibt sich der Kompromiss oder das Dazwischen, der Raum, das Neutron, das Grau, alle Farben, Raum-Zeit jaja, das hatten wir ja schon.“ Und dann schlürfte er an der Teetasse. „Ahhhh. Nicht zu vergessen die Ähnlichkeit. Die Ähnlichkeit habe ich immer gemocht. Fabelhafte Versteckspielerin. Keine zwei Dinge sind gleich. Wissen Sie, man könnte einen tiefen See für ein flaches Gewässer halten, wenn er nur klar genug ist. Noch was?“ 

„Ja, aber warum fällt uns der Himmel nicht auf den Kopf? Warum vereinigen sich nicht einfach alle Widersprüche?“ „Denken sie an die Wechselwirkungen: Wenn mehrere Widersprüche sich überlagern, können sie sich auf Dauer erhalten.“ Dann summte er eine Melodie, die mir verdächtig wie „Es waren zwei Königskinder“ vorkam. „Dann hatten die Chinesen also recht. Die haben das hier gebastelt.“ Stolz zeigte ich ihm meinen Ying Yang Anstecker: „Das ist ein Ying Yang oder Tai Gi.“ „Total verrückt.“ Er verdrehte den Kopf. „Was ist auf der Anderen Seite ?“ „Eine Anstecknadel“ „Oh, ah, verstehe. Ja, das kommt in ungefähr hin. Aber schwarz und weiss ist kein gutes Beispiel für Polarität. Das Alles oder nichts, die Null und die Eins, diese Sachen sind nur die Hälfte der Wahrheit. Was fehlt, ist das minus. Das Gegenteil von Sein ist nicht Nichtsein, sondern Anderssein, während das Nichtsein zwischen den beiden liegt. Auusser, man würde das Ding in der Mitte zusammenfalten." "Angenommen man nähme zwei Menschen, wie wäre das dann mit dem Anderssein? "Dann wäre es nur bezüglich einer einzelnen Eigenschaft oder Meinung und man müsste alle Eigenschaften und Meinungen nacheinander prüfen." 

"Da würde man im Leben nicht fertig und dann könnte man wieder von vorn anfangen." "Genau so. Die Tupfen sind für Quellen und Senken?“ „Und die Symmetrie steht für Harmonie und Gleichgewicht.“ vollendete ich stolz. Ich atmete tief ein und fast hätte ich „Om“ gesagt. Abwehrend schob er die Hand nach vorn. „Nein, nein. Harmonie ist kein symmetrisches Konzept, die Symmetrie ist ein Sonderfall der Harmonie! Sie haben es doch hier...“ "Also jetzt versteh ich nix mehr." "Also was ihr hier als Symmetrie bezeichnet, liegt in den Formen. Die Symmetrie ist das Gleichgewicht zwischen Gleichem. Die Harmonie ist zwischen dem Schwarz und dem Weiss und in der Welle, sie ist das Gleichgewicht zwischen Ungleichem. Beides sind Sonderfälle." „Sonderfälle kommen in die Klinik.“ antwortete ich wie aus der Pistole geschossen. „Na eben!“ rief er und warf die Hände jetzt hoch. "Was fasziniert euch denn an Absonderlichkeiten?" "Beide haben aber ihren Ursprung im Gleichgewicht?", ich blieb beharrlich. 

Seine linke Augenbraue erhob sich und schnippste mit den Fingern nach Beantwortung. "Sie machen es uns einfacher. Wir benutzen sie als Grundformen." gab ich nach. "Einfach kann auch ganz schnell kompliziert werden", sagte er lachend. "Bin ja selbst das beste Beispiel." "Und meine Frage?" Nicken. "Ja, richtig. Gleichgewicht wiederum ist ein Spezialfall des Widerspruchs. Es sind aber die Widersprüche, aus denen eure Welt aufgebaut ist, das sagte ich Ihnen doch schon. Alles andere entsteht daraus, auch die Ausnahmen." „Oh.“ „Was ist?“ „Eine Frage hätte ich aber noch.“ 

„Dann raus damit!“ „Gibt es die Ewigkeit und den Augenblick?“ Amüsiert lächelte er „Hartnäckig, was? Das nenne ich Sportsgeist. Ja, das ist alles dasselbe dem Ursprung nach: Augenblick, Ewigkeit, Symmetrie, Harmonie, die NULL. Absonderlichkeiten. Sie existieren nicht einzeln." „Ich erinnere mich aber an einzelne Augenblicke.“ Wie ein ertappter Lausejunge scharrte er mit den Füssen. "Mir ist da was in den Sinn gekommen", antwortete er schliesslich. "Wie lange dauert euer Augenblick?" "3 Sekunden. In etwa." "Und das können eure Uhrenapparate zählen?" "Die zählen Schwingungsdauern. Das ist es ja. Aber wir erinnern uns nicht an Schwingungsdauern, sondern an Augenblicke." "Aber doch, weil sie sich von den anderen unterscheiden?" "Ja, das ist der Grund, aber der einzelne Augenblick ist es trotzdem, der übrigbleibt." 

Da stand er auf und lachte und schüttelte er mir die Hand. Er schien sonderbareweise sehr erleichtert. "Mein lieber Freund, sie haben ihr Elementarteilchen gefunden. Den Augenblick. Ihr Augenblick. Ihr Augenblick ist ihre Ewigkeit. Unteilbar und doch...“ „Ein Widerspruch!“ beendete ich seinen Satz und in dem Moment bin ich aufgewacht. Ich stand auf und öffnete das Fenster. Draussen war es Frühling und die Vögel zwitscherten. Ich entsorgte die Flaschen und das Papier und beschloss, auf Reisen zu gehen. Vielleicht in die Südsee. (Erstfassung: 2006)

Elektromagier

Das ganze Gemenge aus Halbwissen und, nun ja, religiösem Halbwissen, wobei das ja jetzt sogar schon wieder eine revolutionäre Basis darstellen könnte und das andere auch, würde man die andere Hälfte als leer betrachten, also pessimistisch, gibt einen guten Hefeteig, er geht auf, macht bräsig und diskutierfreudig. Sehr schön. Jetzt habe ich mich schon wieder selbst überlistet. Eigentlich wollte ich das als schlecht darstellen. Scheint es aber nicht zu sein, ganz logisch betrachtet. Aber für mich ist das schlecht. Ich bin mit Trockenfutter aufgewachsen, ich kann jetzt nun mal nichts mehr anderes essen, was heisst, Materialismus und Partikularität bitteschön. Keine weichen Ränder oder Extrapolationen. Nicht jetzt. Ok, aber doch. Also zum virtuellen Ich, Rückkehr der Magie und Schubladendenken.  Ersteres und letzteres ganz schnell:  Es waren einmal die Herren Volta, Ampere, Faraday und Tesla et al. Die machten Sachen mit Froschschenkeln. Ein recht materialistischer Spass und doch der Vorbote der Entmaterialisation ausserhalb des Gehirns, die im Computer endete. Digitalisierung, jaja. Und damit kann man dann virtuelle Sachen hin- und herschieben, die eigentlich nur, naja Elektrizität sind. Und damit kam man dem Gehirn ja schon verdammt nahe, da ist das ja auch so, so elektrochemisch. Viele Sachen elektrischer Natur hätte man früher für magisch gehalten. Heute ist es eher die gute alte Schwerkraft, die Kopfzerbrechen bereitet.  Also Magie und spätere religiöse Ableger sind Sachen, die so funktionieren wie die Vorstellung oder besser der Wunsch, den das Gehirn von der Wirklichkeit hat. (Hat viel mit Geschwindigkeit und Effekten zu tun.)  Durch und durch magisch-elektrisch und man kann ihnen auch ein elektrisches virtuelles Abbild zuweisen. Aber die Wirklichkeit selber interessiert das ja nicht. Wäre die Wirklichkeit magisch, gäbe es einen eingreifenden Gott, hätte er alle Hände voll zu tun, den Dingen zu erklären, wass sie zu tun und zu lassen haben. Zu den Menschen käme er gar nicht mehr. Und so sind Computerprogramme. Sie sagen jedem Ding, was es zu tun und zu lassen hat, ein Programmierer definiert etwa Schwerkraft nur für die Dinge, für die er sie braucht, dafür sind Programme ja auch übersichtlich. In denen darf es Magie geben. Elektromagie sind auch die Geister unserer heutigen Zeit. Denkt ihr, wir haben die Gespenster und Spukgestalten unserer Ahnen längst hinter uns gelassen und gegen Logik und Wissenschaft eingetauscht? Und warum beschäftigen wir uns dann immer noch mit, nun elektronisch entmaterialisierten, Versionen unserer Spezies? Das Fernsehen, das Radio, das Internet sind voller toter Leute, die zu uns sprechen. Wissenschaft hat uns erst die Geister und Dämonen ermöglicht, die wir uns früher so lebhaft selbst vorstellen mussten.