Mittwoch, 3. April 2024

Der Fürchtenlerner (Brüder Grimm) gereimt

Ein Vater hatte einst zwei Söhne, einer davon klug,
der Jüng‘re jedoch war so dumm, dass man es kaum ertrug.
Sahen ihn die Leute, sagten sie "Was für ein Tropf!
Der frisst dem armen Vater die Haare nur vom Kopf."

Der Älteste, war was zu tun, schritt tagsüber hinaus.
Doch fürchtete er sich des Nachts und ging dann nicht vors Haus.
Schauermärchen waren ihm durchaus ein Riesengraus
und er machte einen Sprung beim Anblick jeder Maus.

Zum Jüng'ren sprach der Vater endlich „Heda, du bist stark,
jedoch das Faulsein steckt bei dir tief in Bein und Mark!
Du solltest etwas lernen, das nicht ein jeder kann.
So, für was entscheidest du dich, werter Sohnemann?“

Der Jüngre sagte „Vater, da denke ich nicht lang,
das Fürchten will ich lernen, denn mir ist niemals bang.“
Darauf sagte der Vater „Junge, du bist dumm wie Brot,
mit dir hat man wirklich seine liebe Not.
Mit dem Gruseln kann man wahrlich gar kein Geld verdienen.
Und wenn dir auch hundertmal sei ein Geist erschienen.“

Der ält're Bruder lachte „Freundchen, du musst dich besinnen.
Was ein Häkchen werden will muss sich beizeiten krümmen!“
Und der Vater flehentlich „Auch wenn du dumm geboren,
so ist vielleicht bei dir noch nicht Hopf und Malz verloren?“

Bald dann kam der Küster zu Besuch zum Abendbrot
und der Vater klagte ihm seine liebe Not.
Der jüngste Sprößling sei in allen Dingen schlecht beschlagen
und gäbe dumme Antworten auf jede seiner Fragen.

"Ach denken Sie sich nur, seine neueste Idee,
ist das Gruselnlernen! Potzblitz, ohjemine!"
Darauf sagte der Küster: "Wenn weiter nichts dabei,
das kann er bei mir lernen und ihr seid von ihm frei."

Und so nahm der Küster ihn, um bei Nacht und Sturm,
die Glocken wohl zu läuten hoch im Kirchenturm.
Er weckte ihn zu Mitternacht und hieß ihn aufzusteigen.
Und schlüpfte selbst ins Lakentuch, um ihm die Furcht zu zeigen.

Als der Junge oben war und griff den Glockenstrick,
sah er einen weißen Geist im nächsten Augenblick.
"Wer da?", rief er und "Gib Antwort, arger Taugenichts!"
"Oder du wirst fliegen, dass du dir die Knochen brichst."

Der Küster aber dachte `Der ist schon nicht so gemein.´
Und er blieb ganz mausestill wie ein Grabesstein.
"Geh fort!" sprach der Junge, "Hier gibt es nichts zu gaffen!"
Dann war er auf dem Sprunge sich den Spuk vom Hals zu schaffen.
Er stieß die Gestalt treppab, die ihm keine Antwort gab.
Die rollte noch zehn Stiegen und blieb dann wimmernd liegen.

Der Junge hat ganz pflichtbewußt die Glocken noch geläutet
und hat auch nicht mal nachgedacht, was all das bedeutet.
Er ging ins Bett ohne noch ein weitres Wort zu sagen.
Doch am Morgen hört´ er schon des Küsters Frau Wehklagen.

"Weißt du lieber Junge denn, wo mein Mann geblieben?
Er ist schließlich noch vor dir den Turm hinauf gestiegen."
"Nein, aber da hat einer auf der Trepp gestanden,
als er keine Antwort gab kam die Geduld abhanden,
mir und diesen Spitzbuben hab ich hinabgestossen.
Niemals kommt der wieder her, so voll hat der die Hosen."

Die Frau ging hin und fand den Mann mit einem Bein gebrochen,
der lag noch da und jammerte und es fing an zu kochen,
ihr Küsterfrautemperament, sie eilte dann mit viel Lament
zum Vater unsres Jungen und rief aus vollen Lungen:
"Euer Sprößling bringt uns nichts als Riesenscherereien!
Er brach meinem Mann das Bein, das ist nicht zu verzeihen."

Es erschrak der Vater und er kam herbei gelaufen.
Er rief den Jungen zu sich her und fing dann an zu schnaufen:
"Der Teufel hat dich angeführt zu so gottlosen Flausen!"
"Aber Vater," rief der Bub "du brauchst nicht aufzubrausen!“

"Hört mich an, er stand verdächtig mitternachts herum,
und als ich höflich fragte, stellte er sich stumm."
"Ach", sprach da der Vater, "mit dir hab ich kein Glück!
Geh mir aus den Augen und komm nicht mehr zurück!"

"Ja Herr Vater, ja recht gern will ich wandern gehen,
um endlich das Gruseln als Handwerk zu verstehen."
"Lerne was du gerne willst, das ist mir einerlei
Sag nur keinem Menschen, wer dein Vater sei.
Hier sind 50 Taler, die kannst du dir mitnehmen,
Das ist allzeit besser noch als deiner sich zu schämen."

Der Junge lief schon bald die Hauptstraße entlang,
er war guter Dinge und murmelte beim Gang:
"Ach wenn es mich nur gruselte, ach wenn es mich nur schreckte."
Und so hörte das ein Mann, der in Lumpen steckte.

Der ging ein Stück des Wegs mit ihm und dann beim Abendrote,
zeigte er ihm einen Baum, dran hingen sieben Tote.
„Die armen Teufel ham mit Seilers Tochter wild getanzt.
So bleibe doch heut abend hier, dass du dich gruseln kannst.“
„Wenn das so stimmt, sollen 50 Taler deine sein.“
sprach der Junge skeptisch und der Mann schlug ein.

Da ging der Junge zu dem Galgen, setzte sich dorthin.
Die Nacht brach ein, der Nebel kam und bald schon fror es ihn.
Zu Mitternacht blies dann ein Wind, der war gar bitterkalt
und schwenkte die Gestalten hin und her im finstren Wald.

Er hatte Mitleid, machte Feuer und mit sehr viel Fleiß
nahm er die Gehenkten ab und setzte sie im Kreis.
Sie saßen da mit hohlem Blick und aufgerissnen Mündern.
Daher gab er einen Rat den unbeholfnen Sündern.

"Gebt nur acht, dass ihr euch eure Kleidung nicht verbrennt!
Sonst hab ich euch im Handumdrehn wieder aufgehängt."
Die Toten aber hörten nicht und ihre Lumpen glimmten.
Nun sprang er auf, zog sie zurück und spielte den Ergrimmten.

"Ich kann euch nicht helfen, wenn ihr euch den Leib versengt".
Und der Reihe nach hat er sie wieder hochgehängt.
Er legte sich ans Feuer hin und schlief den Rest der Nacht.
Am Morgen grüßte ihn der Mann, so daß er aufgewacht.

Der fragte wie es neulich mit dem Gruseln vorwärts ginge.
"Nicht besonders" sprach der Bub, "ich nahm sie von der Schlinge.
Leider haben sie kein einz'ges Wort von sich gegeben.
Drum gab ich meine Mühe auf und ließ sie wieder schweben."
Er zeigte zu den Toten hin, der andre dacht beklommen,
dass so ein abgebrühter Kerl ihm noch nicht vorgekommen.

Darauf gingen beide wieder ihrer eignen Wege
und es sang so wie er lief über Feld und Stege,
"Ach wenn es mich nur gruselte, ach wenn es mich nur schreckte."
der Junge als ein alter Fuhrmann ihn entdeckte.

"Wer bist du?" "Das weiß ich nicht."
"Wo bist du her?" "Das weiß ich nicht."
"Wer ist dein Vater?" "Sag ich nicht.
Ich möcht nur, dass es gruselt mich."
"Statt das wir hier noch Reden schwingen,
wollen wir dich unterbringen."

Am Abend kehrten sie dann müde in ein Wirtshaus ein.
Da stellten sie die Pferde unter und beim guten Wein,
hörte der Wirt seine Wünsche, lachte "Kein Problem!
Hier in der Nähe gibts ein Schloß, da kannst du Geister sehn."

"Nein!" rief da die Wirtin blaß "Nein, das geht nicht an!"
"Da hat schon mancher seinen letzten Atemzug getan."
"Wenn es richtig gruslig ist, dann ist es fabelhaft,
dann wär das Schloß das Ende meiner Wanderschaft."

Der Wirt erzählte, er müsst nur drei Nächte darin wachen,
dann würde ihm das Schloß gehörn mit allen teuren Sachen.
Der König hätte zudem seine Tochter noch versprochen,
jenem Helden, der den bösen Geisterbann gebrochen.

Der Junge ging am Morgen zum König hin und sprach:
"Wenn's genehm ist, schau ich gern in eurem Schlosse nach."
Der König sah ihn prüfend an. „Weil du mir gefällst,
geb ich dir vier Dinge noch, die du dir auswählst."

"Ich nehm Feuer, Knüppel, Drehbank und eine Sitzbank."
Alles wurde ihm gebracht, bis die Sonne sank.
In einer Kammer hoch im Schloss brannte bald ein Feuer,
Da wartete der Junge brav auf das Ungeheuer.

Zu Mitternacht rief etwas "Au, mich friert!" aus einem Eck.
"Ihr Narren", drauf der Bursche, "kommt nur raus aus dem Versteck!
Was schreit ihr rum? Wenn euch kalt ist, setzt euch doch zur Glut."
Zwei große schwarze Katzen warns, die er zu sich einlud.

Nach einem Weilchen fragten sie "Woll'n wir Karten spielen?"
Er sagte "Gern, doch will ich erst auf eure Pfoten schielen."
„Unsre scharfen Krallen sind rein und ordentlich,
wir kratzen dir die Äuglein aus, dann siehst du keinen Stich!“
"Mit solchen langen Nägeln ist das Kartenspiel ein Graus."
sprach er und warf sie glatt aus dem Fenster raus.

Nun kamen aus dem Schatten noch mehr Katzen und auch Hunde.
Rasch verhalf er jedem Tier zur günstigen Flugkunde.
Dann ward er müde und er wollte gern ein Stündchen schlafen,
jedoch war das Bett verhext und es verließ den Hafen.

Es rollte wie ein Sechsgespann hin über Trepp und Dielen,
und bäumte sich auf wie ein Pferd, so dass herunterfielen,
unser Bube, Deck, Matratze und die Daunenkissen,
drum legte er sich auf den Flur "Dies Bett kann ich vermissen."

Nach dieser turbulenten und ereignisreichen Nacht,
Hat er mittags nochmal Halt beim selben Wirt gemacht.
Dieser machte große Augen, doch der Bub sprach kühl:
"Nur ein paar süße Kätzchen, die warn ein Kinderspiel."

Zum Nachmittag dann ging er abermals ins Schloß,
und setze sich ans Fenster, wo er den Blick genoß.
Ganz laut und ungemütlich wurde es um Mitternacht.
Erst rumpelte es heftig und dann fiel mit Krach
ein halbes furchtbar staubiges Skelett aus dem Kamin.
Verdutzt fragte der Junge, dem das zu wenig schien:

"Wo ist die zweite Hälfte?", und mit viel Getöse,
kam der Rest an Knochen und musterte ihn böse.
Das Gerippe setzte sich ganz keck auf die Sitzbank,
sortierte seine Knochen und wienerte sie blank.

"So ham wir nicht gewettet, "sprach der Junge, "meine Bank
ist nur für meinen Hintern. Du suchst wohl Streit und Zank?"
Er schlug den Schädel ihm vom Hals mit seinem großen Stecken,
so dass der dreimal sich gedreht und fiel ins Aschebecken.

Noch mehr Skelette kamen nun aus dem Kamin gesegelt,
eine ganze Mannschaft, die mit Knochen kegelt.
"He Freunde! Ich spiel mit, wenn es euch gefällt?"
"Gern," krächzten die Toten, "doch dafür brauchst du Geld."

"Am Geld soll es nicht mangeln, doch sind die Kugeln Schund."
und er schnitt die Totenköpfe auf der Drehbank rund.
"Jetzt werden sie viel besser rollen." hat er dann gelacht,
so spielten sie noch "Alle Neun!"den Rest der heitren Nacht.

Am andern Morgen kam der König "War es denn recht gruslig?"
"Ich habe schön gekegelt, Herr. Nein, es war eher lustig."
"Ich hoff ich lern das Fürchten noch an diesem dritten Abend,
dabei klang das Angebot verlockend und hochtrabend."

Erneut hat er sich abends auf seine Bank gesetzt,
es kamen starke Männer und diesesmal zu sechst.
Sie trugen auf den Schultern eine Totenkist'.
"Ach, das wird mein Vetter sein, der grad gestorben ist."

Kaum dass sie ihn abgesetzt, nahm er die Leich heraus
und streckte sie gemütlich vor dem Feuer aus.
"Komm Vetterchen nun komm, du bist kalt wie Eis!
Setz dich doch ans Feuer, dann wird dir wieder heiss."

Als das nicht half hat er den Mann in das Bett gelegt,
und derb an ihm gerieben, bis er sich geregt.
"Ja, für meine warmen Händchen kann ich mich verbürgen."
Der Tote aber griff hinauf. "Jetzt will ich dich erwürgen."

"Was hör ich da, mein Lieber, ist das dein Lohn und Dank?"
Gleich sollst du nochmal liegen auf deiner Leichenbank."
Er warf ihn in den Sarg zurück und schlug den Deckel zu,
Die Männer kamen abermals und trugen ihn zur Ruh.

Da trat ein alter Mann herein, größer als die andern.
"Oh du Wicht, das Höllenreich will ich mit dir bewandern."
"Nicht so schnell" sprach da der Jung, "dann musst du stärker sein."
"Dich will ich schon packen und hack dich klitzeklein."

"So stark wie du bin ich schon lang, das wolln wir erst mal sehen."
"Versuchen wirs, wenn du gewinnst, kannst du nach Hause gehen."
Dann führt er ihn durch dunkle Gänge hin zum Schmiedeherde,
mit einem Axtschlag schlug er dort den Amboß in die Erde.

"Das kann ich noch besser." sprach der Junge froh und munter.
Der Alte schob sich vor zu schauen und sein Bart hing runter.
Der Junge schwang das Äxtlein und trieb mit einem Hieb,
den Bart tief in den Amboß, so dass er steckenblieb.

"Alterchen, jetzt hab ich dich, jetzt ists an dir zu sterben."
"Mach bloss keinen Unfug, dann kannst du mich beerben".
Der Junge zog die Axt heraus und ließ ihn wieder los.
Darauf führte ihn der Alte zur Schatzkammer im Schloß.

Dort standen drei Schatzkisten mit prächtig goldnem Schein.
"Eine davon sei dem König und eine sei dein.
Die dritte Truhe gib den Armen." und der Geist verschwand,
als es zwölf schlug und der Junge ganz im Dunkeln stand.

Er tastete den Weg zurück zu seinem Kämmerlein,
legte sich ans Feuer und schlief dort friedlich ein.
Am Morgen frug der König, wie es gewesen sei.
"Ich sah meinen Vetter, viel Geld und anderlei,
aber da war nichts zum Gruseln." "Es sei nicht dein Schaden,
nun, da du das Schloss erlöst hast, wirst du reich heiraten."

Die Hochzeit ward gefeiert, das Gold heraufgebracht,
trotzdem murmelte der Bub noch in der Hochzeitsnacht:
"Ach wenn es mich nur gruselte, ach wenn es mich nur schreckte."
Worauf die Braut mit ihrer Zofe einen Plan ausheckte.
Das Kammermädchen war gewiss "Wir bringen ihn zum Schrein."
"Gieße einen Eimer Fische in sein Bett hinein."

Nachts brachte der Gärtner die Gründlinge zur Kammer,
die Braut goß sie auf den Gemahl, so daß er fuhr mit Jammer,
aus dem Bett, als der Fang auf ihm herumgesprungen:
"Jetzt hat es mich gegruselt. Weib, dir ists gelungen!“


1 Kommentar:

EmiCrystalHolmes hat gesagt…

Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen ... ein schönes, leider nicht so bekanntes Märchen der Gebrüder Grimm. Ich find es super, das gerade diese unbekannten Märchen so faszinieren