Der
Herr Blattschuss wacht morgens auf und ist schon mürrisch drauf. Das
ist sonst nicht so, aber heute. Er weiß heute ist der Tag, an dem er
seinen eingetretenen literarischen Pfad verlassen muss. Sein Doktor hat
ihm das ans Herz gelegt, denn dem Herrn Blattschuss steht eine
Verblödung ins Haus. Herr B. ist süchtig nach Arztromanen. Die
verschlingt er zum Frühstück, Mittagessen und Abendbrot.
"Der Körper liest mit, Herr B." hat der Arzt gesagt. "Sie müssen ihren literarischen Pfad verlassen und auch mal was Gesundes lesen. Gedichtbände zum Beispiel, ja und Erstausgaben erfolgloser Schriftsteller. Die ersten werden die letzten sein, kleiner Scherz, haha, auch Antiquarisches, das ist sehr gehaltvoll, jaja. Schriftsteller war damals noch eine Berufung und kein Beruf, hören sie, Herr B.! Die armen Teufel sind dutzendweise für ihre Ideale in die Kiste gesprungen. Solche ballasthaltige Kost brauchen sie. Nicht den aalglatten Konfekt von Schwester Brunhilde und ihrem ähh, Doktor."
So denkt Herr B. an den letzten Termin und merkt nicht mal, dass er beim Ankleiden die Mütze falsch herum aufsetzt. Draussen regnet es, bald wird es auch schneien. Sorgenvolle Gedanken schieben sich, dicken Raupen gleich, durch seine Morgenwelt. Die muss er loswerden, also dackelt er noch mal in die Praxis, mit verdrehter Mütze und verdrehten Gefühlen.
"Neues
ist gefährlich" händeringt Herr B. "Ich habe von spontanen
Geisteszuständen gehört. Manche Leute sollen danach herumgelaufen sein
und von Niveau geredet haben. Genie und Wahnsinn sollen dicht
beieinander liegen, ja auf offener Straße miteinander schmusen, Herr
Dokter. Einer soll gesagt haben, verkehrt herum gelesen mache das Buch
erst Sinn! Er las ein Telefonbuch Herr Dokter. So was macht mir Angst.
Soll ich nicht lieber auf Liebesromane umsteigen? Die regen bestimmt an,
ja?"
"Nein, Herr B., das sind Gerüchte, nur so leer gedroschenes
Stroh. Leben sie die Vielfalt. Auf einen Hesse können sie schon mal ein
lustiges Taschenbuch folgen lassen."
„Da fällt mir aber ein Stein
aus der Niere, Herr Dokter, Sie machen mir richtiggehend Lust auf die
Avantgarde.“ Gesagt getan. Herr B. schlägt sich wohlfeil ins wilde
Gebüsch, dass die Federfuchser da so struppig wuchernd in die platte
Landschaft kippen. Nachdem er die ausgetretenen Straßen des Mainstreams
hindurchgehüpft ist und nur verächtlich gelacht hat über all die müden
Socken, die Dünnbrettbohrer, die immer nur den Weg des geringsten
Widerstandes gehen und nicht weitergehen wollen, stehenbleiben bei eilig
zusammengenagelten Mythenfetzen und staunend den immer wieder selben
Sensationen nachgeifern, weil sie das Langzeitgedächtnis schon lange für
ein Mitspracherecht unter ihresgleichen eingetauscht haben.
Was für ein
plumper, rückratloser Bückling er gewesen war. Er hat die schönen
einsamen Früchte nicht gesehen, die abseits des Weges unter schweren
Dornen reifen! Doch jetzt kämpft er sich vorwärts. Schon bald hat ihn
kein Mensch mehr gesehen. Er schmaust Festmähler jenseits aller
Vorstellung. Er hat sich ein Haus errichtet mit einem Fundament aus
Folianten noch aus dem Zechstein und Dachschindeln aus Anthologien. Eine
Tür ganz aus Grimoires mit Bannsprüchen gegen Heyne, Bastei und Co. Er
hält sich sogar eine kleine bissige Streitschrift in einem Zwinger aus
Lehrbüchern.
Doch ach, es sollte ihm nicht gut ergehen. Schon bald fängt
Herr B. an, zu interpretieren, mit sich selbst zu hadern, zu
reflektieren und zu sinnieren und zu philosophieren und der ganze
Zirkus. Nach einem russischen Revolutionswälzer ist Herrn B. vier Wochen
schlecht. James Joyce bringt ihn schließlich auf die Intensivstation.
"Abwechslung, Mann! Um Gottes willen!", stirnrunzelt der Arzt. Herr B. blickt ihn gequält an. Er kann nicht mehr anders, nie mehr will er zurück gehen in diese schalen Niederungen des immer wieder kehrenden Dummseins. "Wer einmal aus dem Blechnapf fraß, haarrrgh!", ächzt er und schießt sich mit einem Traktat über "Irrationale Logik" ins Nirwana. Später dann hat man ihn ganz locker auf Telefonbücher umstellen können.
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