Donnerstag, 4. Juli 2024

Gehirnfernsehen

1.

Ich sitze in einem abgedunkelten Raum mit Bildschirmen und warte auf den Doktor. Mein Kopf ist verdrahtet und schwer, ich betrachte mein Gehirn im Schnitt. Dreht man am Knopf, fährt die Kamera glatt durch die Windungen, bis zwei weisse Augenbälle erscheinen. Das sieht gruselig aus, wie ein Marsianer. Dieses graue, vergnubbelte Ding mit den 2 Geleebällen ist mein Ich, nein oder war ich vor 10 Minuten, war ich das wirklich? Hätte man mir ein anderes Ich reingeschmuggelt, zack-reingebeamt würde ich das merken? Neenicht. Menschen sind oft nicht dass, wofür man sie hält, denke ich und frage mich, ob das auch für mich gilt... Velleicht haben irgendwo Leute ihren Spass mit Persönlichkeitszapping, bei launischen Typen wird einfach öfters gezappt.

Ich drücke gerade noch ein paar Knöpfe: Wasmachtdaswasmachtdaswasmachtdas? Irgendwie fühle ich mich nun anders. Wer bin ich, wo bin ich? Warum habe ich Hunger auf Regenwürmer?
"Tut mir leid, an sich selber dürfen Sie nicht rum spielen..." Eine Hand legt sich schwer auf meine Schulter. Das Gesicht dazu kann ich nicht sehen, es liegt im Dunkeln, verdammt, was... "Sooo, das Backup drauf gespielt..., alles klar?" Zzzippp. Muss wohl eingenickt sein. "Ach ja, klar, Herr Doktor, ich hab hier schon mal auf sie gewartet." "Kein Thema, also dass hier sind Sie..."

2.

Seit ich von meinem Arzt so Glückspillen bekommen habe, berührt mich der Libanonkrieg im Fernsehkasten gar nicht mehr so. Erst sehe ich einen Fahrradfahrer, den eine Katjuscha vom selbigen geholt hat, nur die Füsse sind noch übrig. „Sauberer Schuss“, denke ich. Dann ein Schiff mit Flüchtlingen, dass nach Zypern fährt „Da wollte ich auch schon immer mal hin, toll.“
Ich nicke kurz ein. Bob Geldorf weckt mich und sagt mir, dass im Sudan auch diese Nacht wieder tausende Kinder auf der Flucht sind und wünscht mir einen geruhsamen Schlaf.
So ein netter Mensch. Ich lächle still in mich hinein. Die Nacht ist dann wirklich ausgezeichnet.

And I find it kind of funny
I find it kind of sad
The dreams in which I'm dying
are the best I`ve ever had


Ich wache auf. Erst ein wenig Müsli, dann die gute Tablette. "Reis and Schein!", wie der Engländer sagt. Mir wird kurz schlecht, dann kalt und heiß und dann geht es wieder. Dann pumpe ich das Fahrrad auf und radle los. Mir wird gar nicht bewusst, wie sich die Landschaft verändert. Lauter ocker Steine, auch Dreck und noch mehr Steine um mich rum. Verdammt heiss auch, Steinofen! Endlich ein paar Gebäude, seltsam, keiner da. Doch, Ziegen. „Mäh!“ grüße ich. Die schlackern mit den Ohren und kauen echt unbeeindruckt. Ein schrilles Pfeiffen schreckt mich auf, dann fliegt etwas großes Dunkles auf mich zu und es wird Nacht.

Die Apfel- und die Birnbäume erblühten,
Nebelschwaden lagen über dem Fluss,
da ging Katjuscha hinaus aufs Ufer,
auf das hohe, steile Ufer
.“

Noch ein Erwachen. Vor mir liegt ein Sack, der mir erzählt er käme von Care und enthielte Weizenmehl. Sauber. Mehlbomben auf Zivilisten.
Das Säcke reden können, ist mir seit längerem bekannt, sollte aber allgemein verboten werden.
Ich sehe einen Mann mit blauen Helm auf mich zulaufen. „Tut mir leid, ist mir aus der Hand gerutscht“ „Ein Mehlsack?“ „Scheiße, nein, Mörtel!“, lacht er. Alles verändert sich wieder.
Ich liege neben einem Baugerüst in der Witzlebenstrasse. Naja.

3.

Ich bin krank. Ich habe eine Missverständnislücke. Aber was fase ich da. Ich denke, jeder macht was aus dem andern. Der Ton rutscht langsam herunter, er ist zu dünn, zwei Finger breit. Die Welt als Hörbuch. Alles klimpert so schnell vorbei wie ein Postkartenständer, aber viel zu schnell und ich soll mir was raussuchen. Aber ich will nicht wirklich die Hand da rein stecken.
Das tut bestimmt weh. Ach ich hab's, ich nehm den Fuß! Wah, was für ein Schlamassel. Jetzt regnet es Ansichten.

Ich nehm nun keine Pillen mehr vom Arzt, die machen mich duhn. Die stapeln sich jetzt im Schrank immer höher, ja sie quellen schon heraus und liegen im Zimmer wie Sand. Manchmal bin ich Dagobert und tauche hinein. Schaumkronen chemischer Freude rasseln über den Balkon.

Von den Siechellen habe ich einen Eimer gestellt, einen rot emaillierten. Zum Sonne einfangen, für die Brille und für die Frösche aus dem Schwimmpool, das Blau kommt vom Curacao, wie man weiss. Goldbrassen setzen auch Segel. Sie schauen sich die Kacheln von unten an und ich fang Fang locker vom 5 Meterkickboard aus, rollend. Easy! Und dann dreht sich das alles um 360°? Ach Sonnenwende. Leise geht der Mond zu Grunde. Das kommt vom Gold! Morgens nicht in den Mund nehmen! Was dann? Regenwürmer?

4.

Den Hunger auf Regenwürmer verspüre ich immer noch ab und an. 

Freitag, 7. Juni 2024

Die Handlung, die Wandlung

Die trotzige Behauptung: das Handeln offenbare den Charakter. Was ist nun ein Charakter? Ist es ein Unterschied, ob man liebevoll zubereitete Moral, die man dankenswerterweise kindgerecht aufgegessen hat, in sich fühlt? Oder sich Moral als Erwachsener aneignen muss? Die Moral als Muttersprache. Das Moralgebäude ist mit vielfachen logischen Fallstricken bespannt.

Vom "Das macht man eben so." bis zum "Deshalb macht man das so." ist es beim Lernen der Syntax ein Weg. Dazwischen kommt "Ist das wirklich gut für den anderen und für mich? Warum? Warum tut es dann weh? Wieso darf ich nicht verdrängen? Werde ich manipuliert? Ist Manipulation schlecht?" Beim nüchternen und schonungslosen Durchdenken prallt man grauenhafterweise gegen unangenehmen Egoismus, Feigheit und auch schwarze Monster, die vorgeben, die Realität zu sein.

Das heisst auf der einen Seite sind sie hübsch, nur auf der anderen schwarz und hässlich (wer hat das gesagt?) "Hoppla, Herr Monster!", entschuldigt man sich und verbeugt sich linkisch und zieht den steifen Zylinder gerade so, als solle etwas hineingeworfen werden. Besser, sie alle zu entlassen, die inneren Klassenkameraden? Ja, denn sie sind verdorben, edle Schimmel sind sie. Sie hinterlassen Leere.

Das fordert Mut vor sich selbst und ist so seltsam, dass man sich wiederum fragt: Warum? Wieso darf ich nicht Krüppel bleiben? Oder bin ich heil und werde zum Krüppel? Wo ist die Wahrheit? Wird mir mein Ich genommen oder wird mein Ich? Ist am anderen Ende des Ichs das Du, das Wir oder wieder nur ein Ich und welches? Gebe ich mir etwa selbst die Hand?

Aber ja doch, ich bin ja alle. Halt, ich darf nicht alle sein. Der Imperativ hat es mir verboten. Der innere. Da ist noch ein anderer. Die beiden kämpfen, ich bin das Schlachtfeld. Halt nochmals. Klingt das nicht passiv? Nein, denn ich lasse kämpfen. Ich habe sie beide bezahlt. Bald bin ich alle. Bald bin ich wie alle anderen. Die Synapsen werden mir aus den Ohren herauswachsen wie Tentakel und mich mit allen Wesen verbinden. Ich werde unsere Fehler verstehen.

Samstag, 1. Juni 2024

Hegel und Marx - die aristotelische Synthese

Michael Conradt stellte in seiner youtube-Reihe die Behauptung auf, die Hegelsche Dialektik, die Dialektik des Geistes sei die Antithese zur Marxschen Dialektik, der Dialektik der Materie. Danach stellte er die Frage nach der Synthese beider Dialektiken. Hegel greift natürlich weit zurück auf Platon, der postulierte, die Wirklichkeit sei ein Abbild einer realeren (göttlichen) Geisteswelt. Marx stellte die Sache anders dar und meinte, die Materie bestimme den Geist. Auch Marx können wir einen berühmten Griechen voranstellen, nämlich Demokrit, der als erster die Welt aus Atomen aufgebaut sah. Was ist nun die Synthese von Hegel und Marx?

Diese braucht gar nicht neu erfunden werden, sie ist nämlich schon lange vorhanden: es ist die wissenschaftliche Methode der Induktion und Deduktion. Auch diese hat ihren Ursprung in der platonischen Ideenlehre und wird seitdem weiterentwickelt. Dabei meine ich nicht die Benutzung von Modellen und Plänen an sich, die sicher noch weiter zurückgeht, sondern die Erkenntnis Platons, dass göttliches Modell und menschliche Erfahrung gegensätzlich sind und seine Argumentation, Geometrie sei ein göttliches Ideal. Sein Schüler Aristoteles führte dann die Induktion, die Abstraktion von Naturphänomenen, ein. Die Abstraktion ist dann schon die diesmal ganz menschliche Modellbildung, Idealisierung. Die Anwendung des Modells auf die materielle Wirklichkeit ist schliesslich die Deduktion. Induktion und Deduktion sind die Vermittler zwischen geistigem Ideal und materieller Wirklichkeit und Aristoteles schliesslich der Gewinner des Conradtschen Preisausschreibens. Mit der wissenschaftlichen Methode gewinnen wir aus materiellen Tatsachen geistige Idealvorstellungen (Modelle) und mit diesen Vorstellungen beeinflussen wir wiederum die Materie.


These und Antithese lassen sich ideell einerseits als unterschiedliche Mengen und die Synthese als Schnittmenge darstellen. Andererseits können These und Antithese auch polare Punkte einer geordneten, quantifizierbaren Menge sein (z.B. schwarz und weiss in der Graustufenmenge). Falls beides nicht gelingt, können beide immer noch durch eine qualitative Übermenge eingeschlossen werden. Es geht also immer um eine Erweiterung des gedanklichen Blickfelds. Materiell gelingt die Synthese durch Umverteilung von Materie, also Taten. Die Synthese beider Thesen gelingt durch Feedback, also deutsch Rückkoppelung. Tat-Erkenntnis-Tat-Erkenntnis.... Das Ergebnis von Rückkoppelung ist Weiterentwicklung.

Bonusmaterialspinnerei:

Bisher habe ich die Dialektik als Methode behandelt. Bleibt noch die Dialektik als Weltbild, ein leicht esoterisches Unterfangen. Holen wir nun noch weiter aus und meinen, der Geist sei eine spezielle Dynamik und Verteilung der Materie. In diesem Sinne hätte Marx dann Recht, die Materie bestimmt den Geist, ja sie IST der Geist. Andererseits besteht Materie hauptsächlich aus physikalischen Kraftfeldern. Damit sind wir schon bei Einstein. Energie ist die Synthese von allem. Energetische Dialektik ist en vogue. Eine Dialektik nicht über Mengen oder Materieverteilung, sondern über Energieverteilungen, gleich mit Anschluß an die Informationstheorie. Und hoppla, wie schön sich der Kreis schließt. Betrachtet man Information als Geist, ist man schon wieder bei Hegel. Genauer betrachtet stehen sich heute also nicht mehr Marx und Hegel gegenüber, sondern klassische Physik und die Informationstheorie.

Hier nun noch eine kurze These über die Frage, ob Zeit und Raum gequantelt sind. Das ist eine Frage, mit der sich unter anderem die Theorien der Quantengravitation beschäftigen.  Zeit und Raum sind eigentlich reine Messgrößen, die in ihrem Fall den Geschwindigkeitsanteil von Energie beschreiben. Die kleinste Energieeinheit ist der Planck-Quant. Dazu existieren auch eine Planck-Zeit und eine Planck-Länge. Weiter können wir Energie, Zeit und Raum nicht auflösen, dies ist das kleinste mögliche Beobachtungsraster. Da Zeit und Raum also menschliche Hilfsmittel sind, um die physikalische Wirklichkeit zu erfassen und beide auf der Energie basieren, sind sie dadurch möglicherweise gequantelt. Es wäre also nicht die Brille kariert, mit der wir Raum und Zeit betrachten, Raum und Zeit wären die karierte Brille, mit der wir die Energie betrachten.

Wir haben da für die kinetische Energie =1/2 x Masse x (Raum / Zeit)^2

Änlich gilt für die Wärmeenergie = Masse x Wärmekapazität x Temperaturunterschied

Trotzdem existieren Ausdehnung, Zeit und Masse natürlich auch ohne dass sie gemessen werden und sind intuitiv erfassbar. Energie hingegen ist ein abstraktes vereinheitlichtes menschliches Konstrukt. In „Was ist eigentlich Vernunft“ benannte ich die Eigenschaften von Objekten als die einzige natürliche Größe und alles darauf Aufbauende abstrakt. Aber hier sind wir in einem Dilemma, denn man kann nicht beweisen, dass es kleinere Messeinheiten gibt ohne dass man sie messen kann. Und da wären wir wieder. Alles was über kleinste und größte Messgrenzen hinausgeht, kann zwar gedacht, aber nicht erfasst werden. Naturwissenschaften sind kariert. Geisteswissenschaften sind kontinuierlich.


(Bild: Wikipedia)

Sonntag, 26. Mai 2024

Das Kroko und die Ventildrossel Teil 6

 Derweilen unter Wasser:

Ich muss träumen, dachte der kleine Grünling, von seiner schweren Halskrause befreit. Scheu tasteten seine Scheinwerferaugen durchs Dunkel. Wie wunderschön sie ist. „Wer bist du?", fragte es. „Ich bin die Meeresgöttin Margo." „Mein Wille ist es, meine Kinder vor Unrecht zu beschützen." „Danke!" „Leider kann ich nicht überall sein" Jetzt sah sie traurig aus. „Was für schöne Augen du hast", sprach sie. „Wohin bringst du mich?" „Nach Haus...." Kroko strahlte vor Glück. „Nach Haus..." wiederholte es und dachte an das Drosseli.

Unvermittelt rümpfte es die Nase. Irgendetwas roch hier seehr eigenartig. Blubb, Blubb. Kroko trieb wieder im Sumpf. Blasige Blasen stiegen um es herum auf, Kleinblasen und Grossblasen. Aua, der Kopf brummte und puhh, wie das stank! Kroko kannte das von zu Hause: entweder man hatte Besuch im Teich oder die Luft wurde bald knapp. Auf jeden Fall hieß es Leine ziehen, denn was immer es war, es war ob der Blasenzahl mächtiger als der Grünling. Also wieder heraus aus dem Sumpf und an den Strand, mal sehen was Paketmann so trieb. Auf dem weg dahin grummelte und bebte der Fußboden so eigenartig und es war beinahe wie im Traum noch. Es dauerte eine Weile, bis Kroko den Paketmann fand. Der hatte sich inzwischen aus dem gelben Aufblasdingens und ein paar Stöcken am Strand eine Art Käfig mit Dach gebaut, unter dem er nun saß und mit einem Stein wie ein Besessener auf einer der Kugeln herumklopfte, von denen eine unserem Vierbeiner beinahe auf die Nuss beziehungsweise den Kopf gefallen war. Neben ihm lag noch ein ganzer Haufen solcher Kugeln, auch Kokosnüsse genannt...

Forsch watschelte Kroko darauf zu und biss in eine hinein. Krach. Dann die nächste. Knack. Und weiter. Die Dinger mussten unschädlich gemacht werden, bevor sie wieder auf die Bäume kletterten. „Na, da bist du ja wieder, hee dass sind meine... super, du kriegst sie auf!" war Paketmanns wirre Begrüßung. Dann sprach er erstmal eine Weile gar nichts, weil er mit seinem Steinchen und auch den Fingern die weißen Innereien der Kokosnüsse in sich hineinstopfte und schmatzte. „ Du bist ein prima Nussknacker", sagte er später. „Komm lass uns ein Nickerchen machen".

Das war eine vernünftige Idee, aber Kroko wollte es ein wenig kühler und buddelte sich vorne weiter eine Kuhle in den feuchten Sand, die sich mit Wasser füllte. Hier ließ es sich vorzüglich pennen. Schhhhhh, machte das Meer. So ratzten sie eine Weile lang, bis sie wieder ein Grummeln und Beben aus dem Schlafe riss. Das Kroko watschelte zum Paketmann und schaute ihn fragend an. „Hast Dus auch schon mitbekommen, was? Guck mal nach da oben." Es guckte und staunte. Es gab keinen Zweifel, da war ein ganz schön hoher Berg da oben.

Seine Spitze, hoch über allem Grün, die irgendwie abgebrochen wirkte, qualmte. Qualmen war nie gut. „Und soll ich dir noch was sagen, ich bin mal ein Stück da rauf geklettert. Hab mich umgeschaut. Wir sind hier auf einer Insel. Nett ne?" Klang aber nicht nett, wie Ronnie es sagte, eher wie ein Schimpfwort. „Wird schon wieder aufhören. Komm mit, ich bau dir ne Kleckerburg". „Schau hier, so ähnlich macht der Vulkan da oben auch." Flüssige Sandpampe lief aus Paketmanns dunkelbraunen Händen und er grinste breit. Lustige Kleckermuster bildeten sich, wenn der Sand an Wasser verlor und fester wurde. Bald war ein stattliches Hügelchen zusammengekleckert. Später am Tage saßen die beiden zusammen im Sand und schauten auf das Meer hinaus. Das Grummeln hatte wie bestellt aufgehört und die Vögel zwitscherten wieder. Langsam ging die Sonne unter, der Himmel färbte sich orange und das Meer rauschte friedlich. „Ah, wie wundervoll." Seufzte Paketmann. „Wenn du jetzt noch Feuer machen könntest!" Kroko rollte mit den Augen.