Mittwoch, 18. Juni 2025

Der Froschkönig (Brüder Grimm) gereimt

In einer Zeit - man glaubt es glatt, 
als Wünschen noch geholfen hat,
lebte eine Königstochter, 
des Königs und des Hofes Wonne
schöner noch als selbst die Sonne, 
die sich wohl oft wundern mochte,
wenn sie in ihr Antlitz schien.

Nah beim Schlosse lag ein Wald
dann in diesem Walde bald,
fand sich eine große Linde und
an diesem kühlen Ort
saß am Brunnen jenes Mädchen
herzlich gern und spielte dort.

Eine Kugel ganz aus Gold
warf sie hoch und fing sie wieder
ihrem Spielzeug war sie hold,
und sang dabei frohe Lieder.

Eines Tages fiel die Kugel
nicht von oben in ihr Händchen,
sondern sie schlug auf den Stein
und sie sprang darauf vom Rändchen
platschend in das Nass hinein.

Mit großen Augen folgte ihr
nach die junge Werferin,
doch der Brunnen hier war tief,
tief und ohne Grund darin.

So weinte sie nun bitter drein
da rief jemand laut ihr zu:
„Bist du nicht die Königstochter?
Sag, was störst du meine Ruh,
und klagst, die Welt wär so gemein ?"

Sie blickte um sich voller Scham,
woher diese Stimme kam,
und sah einen Frosch der bläßlich
seinen Kopf, der dick und häßlich,
aus dem Brunnenwasser hob.

Und sie sagte ihm darob:
"Ach du bists, altes Wassertier!
Um einen goldnen Ball den meinen,
der an diesem Brunnen hier
mir aus meinen Händen fiel,
muss ich unaufhörlich weinen."

"Nun sei schon still und weine nicht",
sprach der Frosch mit viel Gespür.
"Denn ich bring ihn dir ans Licht,
doch was gibst du mir dafür?"

"Alles was du willst und mehr,
Kleider, Perlen, Edelsteine,
auch die Krone, die ich trage,
all das gebe ich dir gern,
wenn den Ball du bringst zutage."

„Kleider, Perlen, Edelsteine, 
und die goldne Krone deine,
will ich nicht, statt dessen eine
Freundschaft und Gesellschaft fein,
will dein Spielgeselle sein.

Iss mit mir und trink mit mir 
vom Teller und aus goldnen Bechern
und zuletzt gib Zutritt mir,
zu deinen edlen Schlafgemächern!“

Und sie dachte, lass ihn schwatzen,
nur schnell herauf den goldnen Batzen!
Ein Frosch sitzt gern bei seinesgleichen
in den trüben Fröscheteichen.
Deshalb kann er keinesfalls
einer Frau das Wasser reichen. 

„Bringst du meine Kugel mir,
bekommst du alles das dafür
was du dir wünschst und obendrauf
Küsschen noch von mir zuhauf.“

Der Lurch, sobald sie das gehaucht,
ist sogleich zum Grund getaucht,
sank hinab und kam dann wieder
aus dem Schacht heraufgekrochen.
Und aus dem Froschemaul hernieder,
fiel die Kugel wie versprochen.

Die Königstochter war voll Freude,
als sie ihr schönes Spielzeug sah,
sie hob es auf und sprang hinfort.
Der Frosch saß wie ein Pudel da.
Was galt der jungen Dame Wort?
"Warte, warte," rief der Frosch,
"nimm mich mit, ich bin so klein!"
Doch sie blieb taub und daher hüpfte
er den ganzen Weg allein.

Tags drauf hatte die Prinzessin alles wohl vergessen
und mit dem Hofstaat beim Salat zu Tische schon gesessen.
Da kam von der Marmortreppe "Plitscheplatsche" ein Geräusch
Und es klopfte an der Tür: "Ich rufe Königstochter, Euch!"

Sie lief die Treppen schnell herab, zu sehn, wer vor dem Tor,
doch als sie es öffnete, saß nur der Frosch davor.
Sie warf die Tür ins Schloß ganz ängstlich
und stieg dann zum Saal empor.

Der König sah, dass ihr das Herze klopfte bis zum Hals,
und sprach "Was ist da außerhalb unseres Portals?
Ists ein Riese der die Keule schwingt wie ein Barbar?"
"Nein da sitzet nur ein Fröschlein, das mein Retter war."

"Als im Wald ich gestern war und meine Kugel fiel,
in den tiefen Lindenbrunnen dann bei meinem Spiel,
Da weinte ich so bitterlich in allertiefster Schmach,
dass jener Frosch, mit Hinterlist, die Hilfe mir versprach.
So verlangte er durchaus, mein Bettgesell zu sein,
doch ich dachte, niemals könnt er hier zur Tür herein."

"Mach mir auf, mach mir auf, Königstochter, jüngste,
weißt du, was du mir versprachst für meine guten Dienste?"
"Was du ihm versprochen hast, das musst du nun auch halten.
Mach ihm auf, gehorche deinem Vater, deinem alten!"

Sie öffnete die Tür betrübt und es sprang herein,
die Treppe hoch zu ihrem Stuhl, das freche Fröschelein.
Da saß es schließlich und es rief "Heb mich zu dir empor!"
Und es aß seinen Kopfsalat, bis ihr der Mut gefror. 

Gang für Gang ließ sich der Frosch die guten Speisen schmecken,
Ihr jedoch blieb jeder Bissen fast im Halse stecken.
Der Frosch bedankte sich bei ihr noch sehr für das Bankett,
"Nun bring mich, Mädchen," sagte er, "gleich in dein Himmelbett!"

Der Königstochter schauderte es vor dem kalten Lurch.
Als sie ihn fasste, fuhr ein rechter Ekel durch sie durch.
Der König aber zornig sprach "Du sollst ihn nicht verachten!
Er half dir und er darf dafür auch bei dir übernachten!"

Mit zwei Fingern trug sie ihn hinauf ins Ruhezimmer,
dort legte sie ihn schnell ins Eck, jedoch es kam noch schlimmer,
denn gerade als sie ging zur wohlverdienten Ruh,
kroch er heran "Ich will gemütlich schlafen so wie du."

Bitterböse warf sie nun den Quaker an die Wand,
mit vollen Kräften, wo er dann mit einem "Plopp" verschwand.
"Du alter garstger Frosch kannst nie zu meinem Freunde taugen!"
Doch nun stand da ein Königssohn mit wunderschönen Augen.

Eine Hexe hätte ihn verzaubert, eine böse,
und er hätte lang gewartet, dass man ihn erlöse.
Morgen würden sie dann reisen in sein Heimatreich,
Darauf gingen sie zu Bett und schliefen beide gleich.

Am andern Morgen als die helle Sonne sie geweckt,
kam ein Wagen vorgefahrn, mit Federn angesteckt,
Acht weiße Rosse standen da, in güldenem Gezäum,
von hinten rief ein Diener froh "Ach Prinz, wir kehren heim!"

Der Diener war der treue Heinrich der in seinem Schmerz,
drei harte Ringe hatte legen lassen um sein Herz.
Denn es sollte nicht vor lauter Traurigkeit zerspringen,
Bis er endlich könnt den Herren heil nach Hause bringen.

Als sie dann ein Stück des langen Wegs gefahrn hernach,
gab es einen lauten Knall, als ob ein Rad zerbrach.
Der Prinz schob seinen Kopf hinaus zum Fenster und er sprach:

"Heinrich der Wagen bricht!"
"Nein Herr der Wagen nicht,
es ist ein Band von meinem Herzen,
das da lag in großen Schmerzen,
als Ihr in dem Brunnen saßt,
als ihr noch ein Fröschlein wart."

Noch einmal und noch einmal krachten auf dem Weg die Ringe
und zweimal fragte auch der Prinz, ob es da zum Rechten ginge.
So reisten sie zum Märchenschloß und wie ich mich entsinne,
sind sie noch immer ganz wohlauf  und allerbester Dinge.


Hänsel und Gretel (Grimm/Bechstein) gereimt

Am Wald in einer kleinen Hütte lebte einst ein Paar, 
welches Eltern der zwei Kinder Hans und Gretel war.
Der Vater war ein Köhlersmann und er litt immer Not,
deshalb hatte die Familie wenig Geld für Brot.

Nachts im Heubett seufzte der, an Kummer reiche, Mann,
"Mein liebes Weib, ich weiß nicht mehr, wie’s weiter gehen kann
dich und mich zu unterhalten, dann noch beide Kinder.
Wir haben keinen Vorrat mehr und bald schon kommt der Winter."

"Wir führ'n sie in den Wald hinein, je eher desto lieber.
Dort zünden wir ein Feuer an und kommen nimmer wieder.
Lass die beiden dort allein bei Brote gottbefohlen sein.
Das ist die einz'ge Lösung Mann, nun füge dich schon drein!“

"Oh Gott, wie soll ich das vollziehn an meinen eignen Kindern?"
Die Frau frug ihn nun gradheraus "Wie willst du es verhindern?
Dann kannst du gleich ne Totenlade für uns viere zimmern!"
Die Kinder hörten's durch die Wand und fingen an zu wimmern.

Der Hänsel sprach zum Troste "Gretel hab nur keine Bange,
ich hab schon einen guten Plan, wie ich zurück gelange."
Als die Alten schon im Schlafe lagen, stand er auf.
Er schob sich durch die Hintertür und schlich den Hang hinauf.

Da nun schien der Mond recht helle auf die weißen Kieselsteine.
In sein Rocktäschlein hinein, sammelte er davon kleine.
Dann ging er noch zurück und sprach zur Gretel "Bleib gelassen,
unser Glücksstern wird ganz sicher nicht so schnell verblassen."

Noch eh die Sonne aufgestiegen, als der Tag anbrach,
rüttelte die strenge Mutter schon die Kinder wach.
"Steht auf ihr faulen Wanzen, wir holn Brennholz aus dem Wald!
Hier habt ihr einen Kanten Brot, doch esst ihn nicht zu bald."

Das Gretel trug das Brot im Rock, der Hänsel trug die Steine,
er blieb oft stehn und sah zurück."Vergiss nicht deine Beine!"
"Ach Mutter, ich seh auf dem Schornstein unsern weißen Kater."
"Narr, das ist das Sonnenlicht, nun mach nicht so'n Theater."

Wie sie auf verschlungnen Pfaden weiter vorwärts gingen,
ließ der Hänsel Steinchen aus der Hosentasche springen.
Es sprach der Vater als sie tief im Walde warn zu viert:
"Ihr Kinder, ich mach euch ein Feuer, damit ihr nicht friert.

Nun sammelt Holz." Es ward vollbracht, das Reisig dann entzündet.
Und als die Flamme recht hoch brannte, hat die Frau verkündet:
"Leget euch ans Feuerchen und ruht euch einfach aus.
Wir hauen derweil Holz und gehen in den Wald hinaus."

Am Feuer saßen Hans und Gretel bis der Mittag kam
und haben dann ihr Stücklein Brot sich in den Mund getan.
Sie hörten Schläge einer Axt, das war jedoch nur Trug.
Es war ein festgebundner Ast, der laut im Winde schlug.

Lange saßen sie noch da bis sie die Augen schlossen.
Dann als der Mond sein silbern Licht hin über sie gegossen,
wachte Gretel auf und fragte "Finden wir hinaus?"
Hänsel sprach "Die Kieselsteine bringen uns nach Haus."

Sie liefen Hand in Hand hindurch die ganze klare Nacht,
und kamen dann im Morgengrauen zum Haus wie ausgedacht.
Sie klopften an die Tür erregt, es öffnete die Frau.
"Was habt ihr nur so lang getrieben, wisst ihr doch genau,
dass wir hier die Hände ringen und uns um euch sorgen?
Und ihr verträumt die ganze Nacht und kommt zurück am Morgen!"

Den Vater aber freute es, ihm wars ans Herz gegangen.
Doch die Not hat bald darauf von vorne angefangen.
"Ein halbes Brotlaib noch und dann ist alles aufgezehrt.
Die Kinder müssen fort bevor der Schnitter uns beehrt!

Wir gehen dieses Mal noch tiefer in den Wald hinein."
Dem Vater fiel es wieder schwer, doch willigte er ein.
Die Kinder hatten abermals das Zetern mitgehört.
Doch zu Hänsels Unmut blieb die Hintertür versperrt.

Er tröstete die Gretel sanft: "Uns wird schon nichts geschehen,
der liebe Gott in seiner Macht wird sicher zu uns stehen."
Morgens kam die Frau und rief die Kinder aus dem Schlaf.
Sie erhielten ihr Stück Brot und rüsteten sich brav.

Auf dem Weg zum Wald zerdrückte Hänselein sein Brot.
Er schaute wieder oft zurück "He Junge, bleib im Trott!"
"Ach Mutter, oben auf dem Dach sitzt unsre weiße Taube!"
"Narr, es ist das Sonnenlicht, das flimmert da im Laube."

Der Hänsel warf nun nach und nach die Bröcklein hin beim Gehen,
Dann warn sie in Waldesflecken, die sie nie gesehn.
Beim Rasten wurde wiederum ein Feuer angefacht.
Die Mutter sagte "Kinderlein, ich hab an euch gedacht.

Bleibt hier sitzen, seid ihr müde, schlafet ruhig ein.
Wir hau'n Holz und auf dem Rückweg bringen wir euch heim."
Mittags hat die Gretel dann ihr Brot mit Hans geteilt,
bis zum Abend sind sie noch am Feuerplatz verweilt.

"Wart nur Gretel." sprach der Hans "Lass erst den Mond aufgehn.
Dann werden wir die ausgestreuten Weißbrotkrümel sehn."
Der Mond ging auf, sie liefen los, wohin sie auch geblickt,
hatten schon vieltausend Vöglein alles weggepickt.

Hänsel sagte Gretel ruhig "Wir finden schon nach Haus."
Doch vergingen Nacht und Tag, sie kamen nicht heraus
aus dem Wald, sie waren müd und hatten großen Hunger.
Sie aßen Beeren und verfielen auf dem Moos in Schlummer.

Am dritten Tag, als sie schon schwach, da fanden sie ein Nest
in dem ein schwarzer Vogel sang, dann flog er ins Geäst
und immer weiter her vor ihnen bis zu einer Kate.
Dort setzte er sich hoch aufs Dach und als der Hänsel nahte,
sah er dass das ganze Haus vom Giebel bis zur Türe
aus Kuchen und aus Brot bestand, verklebt mit Konfitüre.

Hänsel sprach "Von diesem Backwerk könnt ich was vertragen!
Ich nehm mir hier ein Stück vom Dach, du kannst am Fenster nagen."
Hänsel reichte in die Höh, die Schindeln zu erhaschen.
Gretel ging zum Fenster,  um den Zuckerguss zu naschen.

Eine leise Frage klang den Mundräubern entgegen:
"Knusper knusper knäuschen,
wer knuspert an meinem Häuschen?"
Die Kinder gaben darauf Antwort, ohne Überlegen:
"Der Wind, der Wind,
das himmlische Kind."

Hänsel schob sich unbeirrt den Kuchen in den Mund,
Gretel riss die ganze Scheibe aus dem Fensterrund.
Die Tür schwang auf und eine Alte schlich am Krückenstock
aus dem Kuchenhaus heraus in einem Lumpenrock.

Hakennäsig, krummgebeugt und triefäugig dazu,
runzelig, mit grünen Augen ohne Rast und Ruh,
erschreckte sie die Kinderlein in nicht geringem Maße.
"Ei traute Kindlein, tretet ein, kommt nur, kommt, ich lasse,

euch von bessren Speisen essen, mit Äpfeln und mit Nüssen."
Sie kamen gern und aßen viel und legten sich in Kissen,
die die Alte aufgeschüttelt hatte und bezogen.
Auf weißen Bettchen träumten sie, wie sie gen Himmel flogen.

Jedoch wars ein schlimmes Laster, das dahinter stand,
weil so mancher Wanderer in diesem Haus verschwand.
Die garstge Hexe fraß vor allem Kinder mit Vergnügen,
die sie fing mit Brot und Kuchen und mit süßen Lügen.

Sie hatte ihre Opferlein von weitem schon gerochen
und zu sich selbst gemurmelt: "Die werde ich mir kochen."
Bevor die beiden aufgewacht, griff sie das Hänselein
und sperrte ihn am Morgen früh in einen Käfig ein.

Sie knebelte den Jungen fest, dass ihm die Stimme stockte,
dann lief sie hin zur Gretel, die blass im Bette hockte.
"Sitz nicht rum, du faule Gans und koch das Essen für den Hans!
Wenn er richtig fett geraten, mach ich einen Hänselbraten.
Bis dahin bleibt er erst einmal in meinem alten Gänsestall."

Gretel weinte bitterlich, doch das half ihr leider nicht.
So kochte sie ihm Tag für Tag je süße Speis und Hauptgericht.
Sie selbst bekam gar schauerliches Krebsgetier zu Essen,
denn die Hexe war nur auf das Mastgewicht versessen
von dem armen Hans allein, dessen Finger regelmäßig,
sie geprüft aufs Dickesein, dabei ward ihr Mund ganz wäßrig.

"Hänsel gib den Finger mir, um zu sehn wie fett du bist."
Hänsel aber streckte ihr, das war eine üble List,
einen dürren Knochen unter ihre schwachen Augen.
Sie prüfte es und ging dann fort mit Knurren und mit Schnauben.

Aber nach vier Wochen war die Ungeduld zu groß.
"Heda, Gretel" rief sie "sei recht flink und laufe los,
hole Wasser, hole Holz, morgen will ich Hänsel kochen."
Ach, wie hatte dies der armen Schwester Herz gebrochen.

"Lieber wäre ich verhungert! Oh Gott, so hilf uns doch!"
"Lass das Geheule, Gretel, eh ich den Hänsel koch,
will ich ein paar Brote backen und du musst das Holz noch hacken.
Danach darfst du Teige kneten und zu deinem Gotte beten."

Früh hing dann die Gretel den Kessel auf die Feuerstelle.
"Bevor wir kochen, woll'n wir backen, dass es nicht am Brote fehle.
Der Backherd ist schon angeheizt, kriech rein und prüf die Hitze."
Am Ofen schossen schon die Flammen aus der Klappenritze.

Die Gretel roch noch rechtzeitig den sprichwörtlichen Braten
und wollte nicht als zweiter Gang zum Hänseltopf geraten.
"Ich weiss nicht, wie ichs machen soll, wie komm ich da hinein?"
"Ach, dumme Gans, ich machs dir vor, stell dich nur hintendrein."

Die Hexe schob den Kopf als Beispiel in die Ofenkammer,
da gab ihr Gretel einen Stoß, so dass sie mit Gejammer
weit hineinfuhr und dann schloß die Gretel Tür und Riegel.
Die Alte war in Kürze schwarz, so heiss waren die Ziegel.

Gretel lief geschwind zum Hänsel, öffnete das Gitter.
"Hänselchen, die Hex ist tot." Und durch die Öffnung glitt er,
fiel der Schwester um den Hals, dann tanzten sie durchs Haus.
Als sie über eine Kiste stürzten kam heraus,
dass darin sich Edelsteine und auch Perlen türmten.

Sie stopften sich die Taschen voll und durch die Türe stürmten,
sie aus dem Hexenwald heraus und schon nach kurzer Zeit,
standen sie an einem Wasser, wo sie weit und breit
keine einz'ge Brücke fanden, auch kein Ruderboot.
"Da schwimmt ja eine graue Gans, vielleicht in unsrer Not
kann sie uns herüber tragen, uns den Weg zumindest sagen?

Gänschen, Gänschen" rief die Gretel "Hier stehn Hans und Gretel.
Ohne Steg und ohne Brücken, nimm uns mit auf deinem Rücken!"
Das Gänschen kam den Strand herauf und Hans setzte sich obenauf.
Er gab dem Mädchen seine Hand, "So wird es nicht gelingen."
Es wird zu schwer, das Gänschen soll uns einzeln rüber bringen."

Auf der andren Seite sah der Wald schon viel bekannter aus.
Nach zwei weitren Wandertagen kamen sie zu Vaters Haus.
Sie stürzten jauchzend durch die Tür und hingen an des Vaters Hals
und als die Frau den Reichtum sah, freute sie sich ebenfalls.
Beide Kinder blieben nun behütet und geborgen.
Sie hatten bis ans Lebensende keine andern Sorgen.





Dienstag, 17. Juni 2025

Der Fürchtenlerner (Brüder Grimm) gereimt

Ein Vater hatte einst zwei Söhne, einer davon klug,
der Jüng‘re jedoch war so dumm, dass man es kaum ertrug.
Sahen ihn die Leute, sagten sie "Was für ein Tropf!
Der frisst dem armen Väterchen die Haare nur vom Kopf."

Der Älteste, war was zu tun, schritt tagsüber hinaus.
Doch fürchtete er sich des Nachts und ging dann nicht vors Haus.
Schauermärchen waren ihm durchaus ein Riesengraus
und er machte einen Sprung beim Anblick jeder Maus.

Zum Jüng'ren sprach der Vater endlich „Heda, du bist stark,
und doch steckt das Faulsein bei dir tief in Bein und Mark!
Du solltest etwas lernen, das nicht ein jeder kann.
So, für was entscheidest du dich, werter Sohnemann?“

Der Jüngre sagte „Vater, da denke ich nicht lang,
das Fürchten will ich lernen, denn mir ist niemals bang.“
Darauf sprach der Vater „Junge, du bist dumm wie Brot,
mit dir hat man wirklich ehrlich seine liebe Not.
Mit dem Gruseln kann man wahrlich gar kein Geld verdienen.
Und wenn dir auch hundertmalig sei ein Geist erschienen.“

Der ält're Bruder lachte „Freundchen, du musst dich besinnen.
Was ein Häkchen werden will muss sich beizeiten krümmen!“
Und der Vater flehentlich „Auch wenn du dumm geboren,
so ist vielleicht bei dir noch nicht Hopf und Malz verloren?“

Bald dann kam der Küster zu Besuch zum Abendbrot
und der Vater klagte ihm nun seine liebe Not.
Der jüngste Sprößling sei in allen Dingen schlecht beschlagen
und gäbe dumme Antworten auf jede seiner Fragen.

"Ach denken Sie sich nur, seine neueste Idee,
ist das Gruselnlernen! Potzblitz, ohjemine!"
Darauf sprach der Küster keck: "Wenn weiter nichts dabei,
das kann er bei mir lernen und ihr seid von ihm frei."

Und so nahm der Küster ihn, um bei Nacht und Sturm,
die Glocken wohl zu läuten hoch im Kirchenturm.
Er weckte ihn zu Mitternacht und hieß ihn aufzusteigen.
Und schlüpfte selbst ins Lakentuch, um ihm die Furcht zu zeigen.

Als der Junge oben war und griff den Glockenstrick,
da sah er einen weißen Geist im nächsten Augenblick.
"Wer da?", rief er und "Gib Antwort, arger Taugenichts!"
"Oder du wirst fliegen, dass du dir die Knochen brichst."

Der Küster aber dachte `Der ist schon nicht so gemein.´
Und er blieb ganz mausestill so wie ein Grabesstein.
"Geh fort!" sprach der Junge und "Hier gibt es nichts zu gaffen!"
Dann war er auf dem Sprunge sich den Spuk vom Hals zu schaffen.
Er stieß die Gestalt nun munter und brutal die Treppe runter.
Diese rollte noch zehn Stiegen und blieb leise wimmernd liegen.

Der Junge hat, ganz pflichtbewußt, die Glocken noch geläutet
und hat auch nicht mal nachgedacht, was all das bedeutet.
Er ging zu Bette, ohne noch ein weitres Wort zu sagen.
Doch am Morgen hört´ er sich die Küstersfrau beklagen.

"Weißt du lieber Junge denn, wo ist mein Mann geblieben?
Er ist schließlich noch vor dir den Turm hinauf gestiegen."
"Nun ja, auf der Treppe, da hat jemand rumgestanden.
Als er keine Antwort gab, kam die Geduld abhanden,
mir und diesen Spitzbuben hab ich hinabgestossen.
Niemals kommt der wieder her, so voll hat der die Hosen."

Die Frau ging hin und fand den Mann mit einem Bein gebrochen,
der lag noch da und jammerte und es fing an zu kochen,
ihr Küsterfrautemperament, sie eilte dann mit viel Lament
zum Vater unsres Jungen und rief aus vollen Lungen:
"Euer Sprößling bringt uns nichts als Riesenscherereien!
Er brach meinem Mann das Bein, das ist nicht zu verzeihen."

Es erschrak der Vater und er kam herbei gelaufen.
Er rief den Jungen zu sich her und fing dann an zu schnaufen:
"Der Teufel hat dich angeführt zu so gottlosen Flausen!"
"Aber Vater," rief der Bub "du brauchst nicht aufzubrausen!“

"Hört mich an, er stand verdächtig mitternachts herum,
und als ich höflich fragte, da stellte er sich stumm."
"Ach", sprach nun der Vater, "mit dir hab ich kein Glück!
Geh mir aus den Augen und komm nicht mehr zurück!"

"Ja Herr Vater, ja sehr gerne will ich wandern gehen,
um das Gruseln endlich recht als Handwerk zu verstehen."
"Lerne was du gerne willst, das ist mir einerlei
Sag nur keinem Menschen, dass ich dein Vater sei.
Hier sind 50 Taler, die kannst du mit dir nehmen,
Das ist allzeit besser noch als deiner sich zu schämen."

Der Junge lief nun wohlgemut die Hauptstraße entlang,
er war der besten Dinge und murmelte beim Gang:
"Ach wenn es mich nur gruselte, ach wenn es mich nur schreckte."
Und so hörte das ein Mann, der ganz in Lumpen steckte.

Der ging ein Stück des Wegs mit ihm und dann beim Abendrote,
zeigte er ihm einen Baum, dran hingen sieben Tote.
„Die armen Teufel ham mit Seilers Tochter wild getanzt.
So bleibe doch heut abend hier, dass du dich gruseln kannst.“
„Wenn das so stimmt, dann sollen 50 Taler deine sein.“
sprach der Junge voller Skepsis und der Mann schlug ein.

Da ging der Junge zu dem Galgen, setzte sich dorthin.
Die Nacht brach ein, der Nebel kam und bald schon fror es ihn.
Zu Mitternacht blies dann ein Wind, der war gar bitterkalt
und schwenkte die Gestalten hin und her im finstren Wald.

Er hatte Mitleid, machte Feuer und mit sehr viel Fleiß
nahm er die Gehenkten ab und setzte sie im Kreis.
Sie saßen da mit hohlem Blick und aufgerissnen Mündern.
Daher gab er einen Rat den unbeholfnen Sündern.

"Gebt nur acht, dass ihr euch eure Kleidung nicht verbrennt!
Sonst hab ich euch im Handumdrehn wieder aufgehängt."
Die Toten aber hörten nicht und ihre Lumpen glimmten.
Nun sprang er auf, zog sie zurück und spielte den Ergrimmten.

"Ich kann euch nicht helfen, wenn ihr euch den Leib versengt".
Und der Reihe nach hat er sie wieder hochgehängt.
Er legte sich ans Feuer hin und schlief den Rest der Nacht.
Am Morgen grüßte ihn der Mann, so daß er aufgewacht.

Der fragte wie es neulich mit dem Gruseln vorwärts ginge.
"Nicht besonders" sprach der Bub, "ich nahm sie von der Schlinge.
Leider haben sie kein einz'ges Wort von sich gegeben.
Drum gab ich meine Mühe auf und ließ sie wieder schweben."
Er zeigte zu den Toten hin, der andre dacht beklommen,
dass so ein abgebrühter Kerl ihm noch nicht vorgekommen.

Darauf gingen beide wieder ihrer eignen Wege
und es sang, so wie er lief, über Feld und Stege,
"Ach wenn es mich nur gruselte, ach wenn es mich nur schreckte."
der Junge als ein alter Fuhrmann ihn dabei entdeckte.

"Wer bist du?" "Das weiß ich nicht."
"Wo bist du her?" "Das weiß ich nicht."
"Wer ist dein Vater?" "Sag ich nicht.
Ich möcht nur, dass es gruselt mich."
"Statt das wir hier noch Reden schwingen,
wollen wir dich unterbringen."

Am Abend kehrten sie dann müde in ein Wirtshaus ein.
Da stellten sie die Pferde unter und beim guten Wein,
hörte der Wirt seine Wünsche, lachte "Kein Problem!
Hier in der Nähe gibts ein Schloß, da kannst du Geister sehn."

"Nein!" rief da die Wirtin blaß "Nein, das geht nicht an!"
"Mancher hat da seinen letzten Atemzug getan..."
"Wenn es richtig gruslig ist, dann ist es fabelhaft,
dann wär das Schloß das Ende meiner kurzen Wanderschaft."

Der Wirt erzählte, er müsst nur drei Nächte darin wachen,
dann würde ihm das Schloß gehörn mit all den teuren Sachen.
Der König hätte außerdem die Tochter noch versprochen,

jenem Helden, der den bösen Geisterbann gebrochen.

Der Junge ging am Morgen hin zum König und er sprach:
"Wenn's genehm ist, schau ich gern in eurem Schlosse nach."
Der König sah ihn prüfend an. „Weil du mir gut gefällst,
geb ich dir drei Dinge noch, die du dir selbst auswählst."

"Einen Knüppel, dann zum Sitzen und zum Drehen eine Bank"
Alles wurde ihm gebracht, bis die Sonne schließlich sank.
In einer Kammer, hoch im Schloss, brannte bald ein Feuer,
Dort wartete der Junge brav auf das Ungeheuer.

Zu Mitternacht rief etwas "Au, mich friert!" aus einem Eck.
"Ihr Narren", drauf der Bursche, "kommt nur raus aus dem Versteck!
Was schreit ihr rum? Wenn euch so kalt ist, setzt euch doch zur Glut."
Zwei große schwarze Katzen warns, die er zu sich einlud.

Nach einem Weilchen fragten sie "He, woll'n wir Karten spielen?"
Er sagte "Gern, doch will ich erst auf eure Pfoten schielen."
„Unsre scharfen Krallen, die sind rein und ordentlich,
wir kratzen dir die Äuglein aus, dann siehst du keinen Stich!“
"Mit solchen langen Nägeln ist das Kartenspiel ein Graus."
sprach er und warf sie einfach aus dem Fenster raus.

Nun kamen aus dem Schatten noch mehr Katzen und auch Hunde.
Rasch warf er sie auch heraus und fluchte eine Runde.
Er wurde müde und er wollte gern ein Stündchen schlafen,
jedoch war nun das Bett verhext und es verließ den Hafen.

Es rollte wie ein Sechsgespann hin über Trepp und Dielen,
und bäumte sich auf wie ein Pferd, so dass herunterfielen,
unser Bube, Deck, Matratze und die Daunenkissen,
drum legte er sich auf den Flur "Dies Bett kann ich vermissen."

Nach dieser turbulenten und ereignisreichen Nacht,
Hat er mittags nochmal Halt beim selben Wirt gemacht.
Dieser machte große Augen, doch der Bub sprach kühl:
"Nur ein paar süße Kätzchen, die warn ein Kinderspiel."

Zum Nachmittag dann ging er artig abermals ins Schloß,
und setze sich ans Fenster, wo er den Blick genoß.
Ganz laut und ungemütlich wurde es um Mitternacht.
Erst rumpelte es heftig und dann fiel mit Krach
ein halbes furchtbar staubiges Skelett aus dem Kamin.
Verdutzt fragte der Junge, dem das zu wenig schien:

"Wo ist die zweite Hälfte?", und mit viel Getöse,
kam der Rest der Knochen an und musterte ihn böse.
Das Gerippe setzte sich ganz frech auf seine Bank,
sortierte seine Knochen und wienerte sie blank.

"So ham wir nicht gewettet, "sprach der Junge, "meine Bank
ist nur für meinen Hintern. Du suchst wohl Streit und Zank?"
Er schlug den Schädel ihm vom Hals mit seinem großen Stecken,
so dass der dreimal sich gedreht und fiel ins Aschebecken.

Noch mehr Skelette kamen nun aus dem Kamin gesegelt,
eine ganze Mannschaft, die mit Knochen kegelt.
"He ihr Freunde! Ich spiel mit, wenn es euch gefällt?"
"Gern," krächzten die Toten, "doch dafür brauchst du Geld."

"Am Geld soll es nicht mangeln, doch sind die Kugeln Schund."
und er schnitt die Totenköpfe auf der Drehbank rund.
"Jetzt werden sie viel besser rollen.", hat er dann gelacht,
so spielten sie noch "Alle Neun!"den Rest der heitren Nacht.

Am andern Morgen kam der König "War es denn recht gruslig?"
"Ich habe schön gekegelt, Herr. Nein, es war eher lustig."
"Ich hoff ich lern das Fürchten noch an diesem dritten Abend,
dabei klang das Angebot verlockend und erlabend."

Erneut hat er sich abends dann auf seine Bank gesetzt,
es kamen starke Männer und diesesmal zu sechst.
Sie trugen auf den Schultern eine schwarze Totenkist'.
"Ach, das wird mein Vetter sein, der grad gestorben ist."

Kaum dass sie ihn abgesetzt, nahm er die Leich heraus
und streckte sie gemütlich vor dem Feuer aus.
"Komm schon Vetterchen, nun komm, du bist so kalt wie Eis!
Setz dich zu mir ans Feuer, dann wird dir wieder heiss."

Als das nicht half, hat er den Leichnam in das Bett gelegt
und derb an ihm gerieben, bis dass er sich geregt.
"Ja, für meine warmen Händchen kann ich mich verbürgen."
Der Tote aber griff hinauf. "Jetzt will ich dich erwürgen."

"Was hör ich da, mein Lieber, ist das dein Lohn und Dank?"
Gleich sollst du nochmal liegen auf deiner Leichenbank."
Er warf ihn in den Sarg zurück und schlug den Deckel zu,
Die Männer kamen abermals und trugen ihn zur Ruh.

Da trat ein alter Mann herein, größer als die andern.
"Oh du Wicht, das Höllenreich will ich mit dir bewandern."
"Nicht so schnell" sprach da der Jung, "dann musst du stärker sein."
"Dich will ich schon packen und hack dich klitzeklein."

"So stark wie du bin ich schon lang, das wolln wir erst mal sehen."
"Versuchen wirs, wenn du gewinnst, kannst du nach Hause gehen."
Dann führt er ihn durch dunkle Gänge hin zum Schmiedeherde,
mit einem Axtschlag schlug er dort den Amboß in die Erde.

"Das kann ich noch besser." sprach der Junge froh und munter.
Der Alte schob sich vor zu schauen und sein Bart hing runter.
Der Junge schwang das Äxtlein und trieb mit einem Hieb,
den Bart tief in den Amboß, so dass er steckenblieb.

"Alterchen, jetzt hab ich dich, jetzt ists an dir zu sterben."
"Mach bloss keinen Unfug, dann kannst du mich beerben".
Der Junge zog die Axt heraus und ließ ihn wieder los.
Da führte ihn der Alte hin zum Schatzverlies im Schloß.

Dort gabs drei edle Truhen mit prächtig goldnem Schein.
"Eine davon sei dem König und die zweite dein.
Die dritte aber gib den Armen." und der Geist verschwand,
als es zwölf schlug und der Junge ganz im Dunkeln stand.

Er tastete den Weg zurück zu seinem Kämmerlein,
legte sich ans Feuer und schlief dort friedlich ein.
Am Morgen frug der König ihn, wie es gewesen sei.
"Ich sah meinen Vetter, hübsch viel Geld und anderlei,
aber da war nichts zum Gruseln." "Es sei nicht dein Schaden!
„Du wirst als mein Schwiegersohn bald im Wohlstand baden.“

Die Hochzeit ward gefeiert, das Gold heraufgebracht,
trotzdem murmelte der Bub noch in der Hochzeitsnacht:
"Ach wenn es mich nur gruselte, ach wenn es mich nur schreckte."
Worauf die Braut mit ihrer Zofe einen Plan ausheckte.
Das Kammermädchen war gewiss "Wir bringen ihn zum Schrein."
"Gieße einen Eimer Fische in sein Bett hinein."

Nachts brachte der Gärtner die Gründlinge zur Kammer,
die Braut goß sie auf den Gemahl, so daß er fuhr mit Jammer,
aus dem Bett, als der Fang auf ihm herumgesprungen:
"Jetzt hat es mich gegruselt. Weib, dir ists gelungen!“


Der glückliche Prinz (Wilde) gereimt

Im Licht der Stadt erstrahlt das Bild des frohen Königsohns,
das auf schlanker Säule in goldner Rüstung thront.
Hoch über der belebten Stadt steht der Prinz auf einem Hügel
und bei seinen großen Füßen ruhn zwei kleine schwarze Flügel.
Besonders sorglos sieht er aus, mit blauen Augensteinen,
die voll heitrer Sanftmut aus runden Lidern scheinen.
Und auch sein schöner Mund untrüglich
lacht, als wär er wirklich glücklich.

Sie ist das letzte Schwälbelein der warmen Zeit des Jahres,
denn an einem See erlebte sie manch Wunderbares.
Verliebte sich dort ganz und gar in eine Binsenstange.
Die Schwärmerei, die hielt nur kurz und doch auch viel zu lange.
Das Schilfrohr war zwar elegant, doch war es nicht mobil,
es tanzte gern im Winde und sprach weiter nicht viel.
Die Schwalbe hatte dann genug von einsamen Gelübden,
denn ihre Freunde waren nun schon längst in Nord-Ägypten.

Sie flog den ganzen Tag und kam des Abends in die Stadt.
„Ob die Stadt für mich schon ein Quartier bereitet hat?“
Dann sah sie auf die Statue. „Dich will ich gern beehren.
Dieses Bettchen wird mir einen ruhigen Schlaf bescheren.
Das Schlafgemach ist golden und es liegt an frischer Luft
und die Blümchen auf dem Beet verströmen süßen Duft.“

Müde steckt sie ihren Schnabel unter das Gefieder,
da fällt ein großer Tropfen sacht von oben auf sie nieder.
„Wie schrecklich“, ruft sie aufgeregt, „Die Nacht ist sternenklar,
das Klima in Europa, das ist wirklich sonderbar.“
Noch ein Tropfen „Sage mir, was diese Statue nützt,
wenn sie mich noch nicht einmal vor Wind und Regen schützt?
Ich suche mir ein Dach!“ Jedoch bevor sie losgeflattert,
kommt ein dritter Tropfen und da schaut sie ganz verdattert.

Sie blickt auf und sieht da, ja was sieht sie wohl?
Die Augen des so Glücklichen sind der Tränen voll.
Tränen, welche leise hin über goldne Wangen rinnen,
dann hinab zu seinem Kinn, von dem sie zu Boden springen.
Sein Antlitz scheint im Mondeslicht so lieblich und so schön,
dass dem Vöglein danach ist vor Mitleid zu vergehen.
„Wer bist du?“ fragt es sehr besorgt. „Man heißt mich ‚Prinz‘ und ‚glücklich‘.“
„Aber warum“, fragt es noch, "weinst du augenblicklich?"

„Der Ratsherr nennt mich Wetterhahn, die Kinder einen Engel,
doch als ich ein Mensch noch war und fern von dem Gedrängel
der Stadt im Schlosse Sorgenfrei lebte ohne Leid,
da spielte ich im Garten schön mit Freunden allezeit.
Danach ging es in den großen Saal zu Speis und Tanz.
Den Garten und das Schloß umringte eine Mauer ganz.
So hoch, dass ich niemals fragte, was dahinter lag.
Denn ich war heiter und vergnügt bis zum letzten Tag.
Und jetzt, wo ich tot bin, da steh ich hier so hoch,
da sehe ich das Elend bis auf fünfzehn Meilen noch.
Auch wenn mein Herz aus Blei ist und aus Bronze meine Beine,
kann ich nicht verhindern, dass ich unaufhörlich weine."

"Wie, dein Herz ist nicht aus Gold?" sprach die Schwalbe leise,
doch es war nicht bös gemeint in irgendeiner Weise.
"Weit von hier", so führte nun die Statue weiter aus,
"steht in einer Gasse ein recht kümmerliches Haus.
Durch das offne Fenster seh ich eine arme Frau,
an einem Tische sitzen, dünn und müd und grau.
Sie hat raue Hände, die von Nadeln ganz zerstochen
und ihr Blick ruht auf dem Tagwerk, glanzlos und gebrochen.
Blumen stickt sie auf ein Kleid, aus Seide jeder Zoll,
dass eine reiche Dame bald zum Hofball tragen soll.

In der Zimmerecke liegt ihr Junge krank im Bett
und träumt von Apfelsinen, die er so gerne hätt.
Wasser, braun vom Fluss, ist alles was den Bub erfrischt.
Ich bitt dich, dass du den Rubin von meinem Schwerte brichst.
Schwalbe, kleine Schwalbe bitte nimm diesen Rubin.
Der Näherin und ihrem Sohn ans Fenster bringe ihn.
Meine Füße sind an diesem Postament befestigt
und das wär mir bei jedem meiner Schritte denkbar lästig.“ 

„In Ägypten werde ich gar schmerzlich schon ersehnt.“
spricht die Schwalbe nachdenklich, langsam und gedehnt.
„Meine Freunde drehn am Nil artig Rund um Runde
und den Lotus preisen sie mit Lobgesang im Munde.
Bald werden Sie im Grab des großen Königs schlafen gehen.
Er ist selbst in einem schmucken Sarge dort zu sehen.
Da liegt er sorglich eingehüllt in gelbem Tuch aus Leinen und
um den Hals liegt eine Schnur aus grünen Jadesteinen.
Seine Hände runzeln sich wie trocknes Laub an Bäumen,
Balsamduft begleitet ihn in seinen Fabelträumen."

"Bleib Schwalbe, kleine Schwalbe, sei nicht so widerborstig.
Die Mutter ist so traurig, der Knabe ist so durstig."
Darauf sagt die Schwalbe "Leider mag ich keine Knaben,
weil sie häufig Steine in den Hosentaschen haben.
Letzten Sommer, als ich am Flusslauf Mücken fing,
sahen mich die jungen Söhne der Frau Müllerin.
Zahlreich schwirrten Kiesel, die sie nach mir warfen,
die, weil ich kunstreich fliege, mich aber nicht trafen.

Trotzdem sehr respektlos!“ doch weiter kommt sie nicht,
denn sie sieht des Prinzen tieftrauriges Gesicht.
So tut er der Schwalbe leid. „Hier wird es kühl beileibe,
doch es kann nicht schaden wenn ich eine Nacht noch bleibe.“
„Ich dank dir, kleine Schwalbe!“ Sie nimmt den Stein vom Knauf
und schwingt sich über Dächer und die Türme hoch hinauf.
Am Dom grüßt sie die Engel froh auf ihrem Himmelsritt,
beim Schloß wiegt sich ein Pärchen sanft im Wiener-Walzer-Schritt.
Sie üben für den Hofball dort an einer Balustrade,
er lobt den Sternenhimmel, sie sagt indes "Schade!
Mein Kleid ist noch nicht fertig, die Näher sind so müßig.
Mit Blumen wollt ich es bestickt, mit langem Warten büß ich.“
Die Schwalbe sieht am Hafen noch die Schiffslaternen leuchten
und vor der Bar Matrosen da die Kehle sich befeuchten.

Sie fliegt zum kargen Häuschen hin und schaut diskret hinein.
Der Knabe hustet fiebrig, die Mutter döst grad ein.
Die Schwalbe hüpft zu ihr und in den Fingerhut der Alten
legt sie den Rubin um dann die Flügel zu entfalten.
So fächert sie am Kissen zu dem kranken Kinde Luft
auf die feuchte Stirne, so dass es leise ruft
„Ich glaub, mir geht es besser.“ Die Schwalbe fliegt hinaus,
zurück zum goldnen Prinzen hin und richtet ihm gleich aus,
was sie für die Mutter und das arme Kind getan.
Sie meint „Es ist schon seltsam, doch mir ist richtig warm.“
„Ja, das ist der guten Tat wonniglicher Segen“,
sagt er und da fängt das Schwälbchen an zu überlegen.

Doch der Schlaf, der kecke Dieb, raubt ihr die Konklusion
und dann küsst das Morgenlicht ja ihre Lider schon.
Morgens fliegt die Schwalbe dann zum Flusse um zu baden,
man sieht sie da in großen Pfützen plantschen und auch waten.
Die Schwalbe murmelt vor sich hin „Heut flieg ich nach Ägypten.“
Dann tut sie einen Freudenschrei, einen ganz entzückten.
Sie macht noch einen Ausflug zu den Denkmälern der Stadt
und die Spatzen auf den Dächern loben ihren Frack.

Vom Kirchturm segelt sie, als schon der Mond am Himmel schwebt,
hin zu ihrem Prinzen, der fest darauf besteht,
"Schwalbe, kleine Schwalbe, bleibe nur noch eine Nacht!"
"Ich muss doch nach Ägypten." sagt die Schwalbe mit Bedacht.
"Morgen wollten wir hinauf zum zweiten Wasserfall,
dort kaut das Nilpferd Flusskraut im heißen Königstal.
Memnon, der Koloss sitzt auf dem Thron die ganze Nacht
und wartet auf den Morgenstern, der ihn sehr glücklich macht.
Es gehn zur Mitternacht die gelben Löwen Wasser trinken,
sie haben grüne Augen, die wie Berylle blinken.
Ihr Brüllen, das ist lauter noch als das des Wasserfalles…“

„Schwalbe, kleine Schwalbe, das glaub ich dir ja alles!
Weit von hier, am Stadtrand, seh ich einen jungen Mann,
welcher sein Theaterstück nicht mehr beenden kann.
Er hat krause Haare und Lippen, rot wie Blut. 
Gerne hätte er in seinem Ofen warme Glut.
Lieber noch als Feuer wünscht er sich etwas zu essen
und über diese Sorgen hat er seine Kunst vergessen.
Welke Veilchen stehn auf seinem Schreibtisch unterm Dach
und seine feinen Hände sind vor Hunger schon ganz schwach.”
“Eine einzge Nacht noch will ich gern bei dir verweilen.
Hast du einen anderen Rubin, um ihn zu teilen?”
So spricht das kleine Vöglein aus seinem guten Herzen.

“Ich hab nur meine Augen, doch eins kann ich verschmerzen.
Saphire sinds, vor tausend Jahrn aus Indien gebracht.
Eines picke aus und bring es ihm noch heute Nacht."
"Lieber Prinz, das kann ich nicht..." spricht die Schwalbe unter Tränen.
"Mach nur, Schwälbchen, darüber brauchst du dich doch nicht zu grämen."
Darauf pickt die Schwalbe des Prinzen Auge aus
und fliegt zu des Studenten Kammer hoch oben im Haus.

Sie kommt ganz leicht hinein, denn im Dach da ist ein Loch,
Schiesst hindurch, zum Bett und hüpft dann noch zum Schreibtisch hoch.
Sein Haupt, das hat der junge Mann vergraben in den Händen.
So merkt er nicht, wer bei ihm ist, um sein Geschick zu wenden.
Ein Luftzug geht, er sieht den Stein nun bei den Veilchen liegen
Und ruft freudig “Man beginnt wohl, endlich mich zu lieben!
Ein Verehrer sicherlich, von meinen Kurzgeschichten.
Nun muss ich nicht länger mehr auf Brot und Holz verzichten.”

Am nächsten Tage fliegt die Schwalbe noch einmal zum Hafen.
Sie hockt auf einem Mast herum und schaut da auf die braven
Matrosen, wie sie schwere Kisten ziehn an starken Seilen
aus dem Schiffsbauch, um erneut zum Laderaum zu eilen.
Sie bücken sich und schwitzen sehr und schrein wie die Verrückten
"Hebt an!" Das Vöglein ruft zurück: "Ich reise nach Ägypten!"
Doch hört sie niemand und deshalb, als das Licht vergeht,
fliegt sie dahin, wo des Prinzen Schatten sich bewegt.

"Mein Prinz, ich bin gekommen um dir Lebewohl zu sagen!"
"Kleine Schwalbe, kannst du deinen Abflug nicht vertagen?"
"Der Wetterumschwung ist schon da und bald liegt hier der Schnee.
In Ägypten wärmt die Sonne den Manzala-See.
Krokodile liegen träg im Schlamm unter den Palmen.
Meine Freunde bauen jetzt ihr Nest aus Lehm und Halmen
im Tempelhaus von Luxor, wo die blaßroten Tauben,
stets gaffen und frech gurren, es ist ja kaum zu glauben!
Lieber Prinz, ich muss nun fort, ich lasse dich alleine.
Nächstes Frühjahr bring ich dir zwei neue Edelsteine.
Der Saphir soll blauer sein noch als das Firmament,
der Rubin rot wie die Lava, die im Ätna brennt." 

"Unten auf dem Platz, da steht ein Streichholzmädchen.
Die Hölzer fielen ihr heraus aus ihrem kleinen Lädchen
in den Rinnstein und so sind sie alle schnell verdorben.
Ihr Vater wird sie schlagen, denn sie hat nichts erworben.
Weinend steht sie da herum, ganz ohne Strümpf und Schuhe.
Ihr bloßes Köpfchen frieret und das lässt mir keine Ruhe.
Picke, kleine Schwalbe, mein and'res Auge aus
und bring es zu ihr recht geschwind, noch auf dem Weg nach Haus."

"Mein Prinz, ich kann verstehen, was du fühlst für dieses Kind.
Jedoch, dein Auge nehm ich nicht, denn danach wärst du blind!"
"Schwalbe, kleine Schwalbe, bitte tu, wie ichs dir sage."
Die Schwalbe nimmt das Auge nun ohne weitre Klage.
Sie lässt den Stein beim Mädchen fallen, in die hohle Hand.
„Hoppla, kleiner Bote, wer hat dich wohl gesandt?
Dieses blaue Glasstück, das sieht ja prächtig aus!“
ruft sie und dann rennt sie, völlig aufgeregt, nach Haus.

Die Schwalbe fliegt zum Prinzen und sie spricht „Du bist jetzt blind.
Darum wirds für immer sein, dass wir zusammen sind.“
„Schwalbe, kleine Schwalbe, nein, du musst nach Süden gehen.“
"Ach mein armer Prinz, das kann nun nimmermehr geschehen.
Ich will von heut an immerdar für dich zugegen sein."
sagt sie und sie schläft erschöpft zu seinen Füßen ein.
Sie sitzt am nächsten Tag dann auf des Prinzen Goldgewändern
und erzählt viel Wundersames aus den fernen Ländern.

Wie die roten Ibisse da stehn in Reih und Glied
und Goldfisch fangen aus dem Nil, der seinen Reichtum gibt.
Von der großen Sphinx, die selbst so alt ist wie die Welt,
die in einer Wüste lebt und schwere Fragen stellt.
Von den Händlern und Kamelen, die den gelben Sand durchschreiten
und den Bernsteinperlenketten, die durch ihre Hände gleiten.
Vom dem Mondberg-König, der so schwarz ist wie die Nacht,
der einen mächtgen Bergkristall bewundert und bewacht.
Von Pygmäen, die auf Blättern über Wasser gleiten
und sich immerfort mit den Schmetterlingen streiten.
Und von der grünen Schlange, die hoch im Palmbaum schläft
und sich von zwanzig Priestern faul mit Honig füttern lässt.

"Schwälbchen, du erzählst mir gar manche Seltsamkeit,
doch geheimnisvoller noch ist wohl das Menschenleid.
Wie des Elends Wunde, so ist kein Wunder tief.
Flieg durch meine Stadt und sage mir, was man dort sieht."
So fliegt die Schwalbe durch die Stadt, schaut wie in den schönen
Häusern dort die reichen Leute ihrem Luxus frönen.
Während dessen Bettler vor geschlossnen Türen sitzen.
Dann sieht man die Schwalbe durch die engen Gassen flitzen.
Die hohlwangigen Kinder starren da mit ihren blassen
Gesichtern teilnahmslos und traurig auf die düstren Straßen.
Unter einem Brückenbogen sind zwei kleine Jungen,
die einander wärmen und liegen, eng umschlungen.
"Wie hungrig sind wir!" rufen sie. "Nicht auf die Wege legen!"
brüllt der Wächter und sie irr'n nach draußen in den Regen.

Da fliegt die Schwalbe zu dem Prinz, setzt sich und berichtet.
Der Prinz spricht zu ihr "Ich bin ganz mit feinem Gold beschichtet.
Löse es nur Blatt für Blatt und schenke es den Kindern.
Weil die goldnen Dinge nämlich Menschenarmut lindern."
Blättchenweise zupft sie nun das feine Gold vom Rumpf,
bis der edle Königssohn ganz grau aussieht und stumpf.
Jedes Blatt des reinen Goldes bringt sie an sein Ziel.
Die Kinder lachen und sie rufen froh bei ihrem Spiel:
"Hurra, hurra, jetzt haben wir endlich wieder Brot!"
und vor lauter Leben glühen ihre Wangen rot.

Dann kommt der Schnee und auch der Frost, sie schmieden Silberbänder,
aus den Straßen und die Menschen tragen Pelzgewänder.
Zapfen hängen spitz vom Dach wie Dolche aus Kristall,
die Kinder laufen Schlittschuh, haben Wollmütze und Schal.
Die kleine Schwalbe friert und friert und doch sie ist geblieben,
denn sie hat sich ihrem Prinzen ganz und gar verschrieben.
Sie stiehlt beim Bäcker Krümel vorm Tore jeden Tag
und wärmt sich heftig flatternd noch mit ihrem Flügelschlag.

Endlich aber wird ihr klar, dass sie nun sterben muss.
Sie schwingt sich auf die Schulter hoch. "Ich geb dir einen Kuss
auf deine Hand und lebe wohl, mein lieber, guter Prinz!"
"Schwälbchen, wie erleichtert mich der Wandel deines Sinns.
Dass du endlich und so spät noch nach Ägypten ziehst.
Und küsse mich nur auf den Mund! Ich weiß, dass du mich liebst."
"Nicht nach Ägypten reise ich, nur in des Todes Haus,
der Tod ist Schlafes Bruder und ich ruhe mich nun aus."

Dann küsst sie den unglücklichen Prinzen auf die Lippen
und die Schwäche lässt sie träg nach hinten über kippen.
Lautlos fällt sie hin zu seinen Füßen in das Weiß
und es ertönt ein Krachen, so wie von dünnem Eis.
Zerborsten ist das Herz aus Blei, es herrscht ja starker Frost
und an einem andern Orte finden sie nun Trost.

Hoch oben, hoch im Himmelreich steht der Prinz auf einem Hügel
und bei seinen großen Füßen ruhn zwei kleine schwarze Flügel.
Besonders weise sieht er aus, mit blauen Augensteinen,
die voll heitrer Sanftmut aus runden Lidern scheinen.
Und auch das Schwälbchen ganz untrüglich,
wirkt als wär es wirklich glücklich.