Im Licht der Stadt erstrahlt das Bild des frohen Königsohns,
das auf schlanker Säule in goldner Rüstung thront.
Hoch über der belebten Stadt steht der Prinz auf einem Hügel
und bei seinen großen Füßen ruhn zwei kleine schwarze Flügel.
Besonders sorglos sieht er aus, mit blauen Augensteinen,
die voll heitrer Sanftmut aus runden Lidern scheinen.
Und auch sein schöner Mund untrüglich
lacht, als wär er wirklich glücklich.
Sie ist das letzte Schwälbelein der warmen Zeit des Jahres,
denn an einem See erlebte sie manch Wunderbares.
Verliebte sich dort ganz und gar in eine Binsenstange.
Die Schwärmerei, die hielt nur kurz und doch auch viel zu lange.
Das Schilfrohr war zwar elegant, doch war es nicht mobil,
es tanzte gern im Winde und sprach weiter nicht viel.
Die Schwalbe hatte dann genug von einsamen Gelübden,
denn ihre Freunde waren nun schon längst in Nord-Ägypten.
Sie flog den ganzen Tag und kam des Abends in die Stadt.
„Ob die Stadt für mich schon ein Quartier bereitet hat?“
Dann sah sie auf die Statue. „Dich will ich gern beehren.
Dieses Bettchen wird mir einen ruhigen Schlaf bescheren.
Das Schlafgemach ist golden und es liegt an frischer Luft
und die Blümchen auf dem Beet verströmen süßen Duft.“
Müde steckt sie ihren Schnabel unter das Gefieder,
da fällt ein großer Tropfen sacht von oben auf sie nieder.
„Wie schrecklich“, ruft sie aufgeregt, „Die Nacht ist sternenklar,
das Klima in Europa, das ist wirklich sonderbar.“
Noch ein Tropfen „Sage mir, was diese Statue nützt,
wenn sie mich noch nicht einmal vor Wind und Regen schützt?
Ich suche mir ein Dach!“ Jedoch bevor sie losgeflattert,
kommt ein dritter Tropfen und da schaut sie ganz verdattert.
Sie blickt auf und sieht da, ja was sieht sie wohl?
Die Augen des so Glücklichen sind der Tränen voll.
Tränen, welche leise hin über goldne Wangen rinnen,
dann hinab zu seinem Kinn, von dem sie zu Boden springen.
Sein Antlitz scheint im Mondeslicht so lieblich und so schön,
dass dem Vöglein danach ist vor Mitleid zu vergehen.
„Wer bist du?“ fragt es sehr besorgt. „Man heißt mich ‚Prinz‘ und ‚glücklich‘.“
„Aber warum“, fragt es noch, "weinst du augenblicklich?"
„Der Ratsherr nennt mich Wetterhahn, die Kinder einen Engel,
doch als ich ein Mensch noch war und fern von dem Gedrängel
der Stadt im Schlosse Sorgenfrei lebte ohne Leid,
da spielte ich im Garten schön mit Freunden allezeit.
Danach ging es in den großen Saal zu Speis und Tanz.
Den Garten und das Schloß umringte eine Mauer ganz.
So hoch, dass ich niemals fragte, was dahinter lag.
Denn ich war heiter und vergnügt bis zum letzten Tag.
Und jetzt, wo ich tot bin, da steh ich hier so hoch,
da sehe ich das Elend bis auf fünfzehn Meilen noch.
Auch wenn mein Herz aus Blei ist und aus Bronze meine Beine,
kann ich nicht verhindern, dass ich unaufhörlich weine."
"Wie, dein Herz ist nicht aus Gold?" sprach die Schwalbe leise,
doch es war nicht bös gemeint in irgendeiner Weise.
"Weit von hier", so führte nun die Statue weiter aus,
"steht in einer Gasse ein recht kümmerliches Haus.
Durch das offne Fenster seh ich eine arme Frau,
an einem Tische sitzen, dünn und müd und grau.
Sie hat raue Hände, die von Nadeln ganz zerstochen
und ihr Blick ruht auf dem Tagwerk, glanzlos und gebrochen.
Blumen stickt sie auf ein Kleid, aus Seide jeder Zoll,
dass eine reiche Dame bald zum Hofball tragen soll.
In der Zimmerecke liegt ihr Junge krank im Bett
und träumt von Apfelsinen, die er so gerne hätt.
Wasser, braun vom Fluss, ist alles was den Bub erfrischt.
Ich bitt dich, dass du den Rubin von meinem Schwerte brichst.
Schwalbe, kleine Schwalbe bitte nimm diesen Rubin.
Der Näherin und ihrem Sohn ans Fenster bringe ihn.
Meine Füße sind an diesem Postament befestigt
und das wär mir bei jedem meiner Schritte denkbar lästig.“
„In Ägypten werde ich gar schmerzlich schon ersehnt.“
spricht die Schwalbe nachdenklich, langsam und gedehnt.
„Meine Freunde drehn am Nil artig Rund um Runde
und den Lotus preisen sie mit Lobgesang im Munde.
Bald werden Sie im Grab des großen Königs schlafen gehen.
Er ist selbst in einem schmucken Sarge dort zu sehen.
Da liegt er sorglich eingehüllt in gelbem Tuch aus Leinen und
um den Hals liegt eine Schnur aus grünen Jadesteinen.
Seine Hände runzeln sich wie trocknes Laub an Bäumen,
Balsamduft begleitet ihn in seinen Fabelträumen."
"Bleib Schwalbe, kleine Schwalbe, sei nicht so widerborstig.
Die Mutter ist so traurig, der Knabe ist so durstig."
Darauf sagt die Schwalbe "Leider mag ich keine Knaben,
weil sie häufig Steine in den Hosentaschen haben.
Letzten Sommer, als ich am Flusslauf Mücken fing,
sahen mich die jungen Söhne der Frau Müllerin.
Zahlreich schwirrten Kiesel, die sie nach mir warfen,
die, weil ich kunstreich fliege, mich aber nicht trafen.
Trotzdem sehr respektlos!“ doch weiter kommt sie nicht,
denn sie sieht des Prinzen tieftrauriges Gesicht.
So tut er der Schwalbe leid. „Hier wird es kühl beileibe,
doch es kann nicht schaden wenn ich eine Nacht noch bleibe.“
„Ich dank dir, kleine Schwalbe!“ Sie nimmt den Stein vom Knauf
und schwingt sich über Dächer und die Türme hoch hinauf.
Am Dom grüßt sie die Engel froh auf ihrem Himmelsritt,
beim Schloß wiegt sich ein Pärchen sanft im Wiener-Walzer-Schritt.
Sie üben für den Hofball dort an einer Balustrade,
er lobt den Sternenhimmel, sie sagt indes "Schade!
Mein Kleid ist noch nicht fertig, die Näher sind so müßig.
Mit Blumen wollt ich es bestickt, mit langem Warten büß ich.“
Die Schwalbe sieht am Hafen noch die Schiffslaternen leuchten
und vor der Bar Matrosen da die Kehle sich befeuchten.
Sie fliegt zum kargen Häuschen hin und schaut diskret hinein.
Der Knabe hustet fiebrig, die Mutter döst grad ein.
Die Schwalbe hüpft zu ihr und in den Fingerhut der Alten
legt sie den Rubin um dann die Flügel zu entfalten.
So fächert sie am Kissen zu dem kranken Kinde Luft
auf die feuchte Stirne, so dass es leise ruft
„Ich glaub, mir geht es besser.“ Die Schwalbe fliegt hinaus,
zurück zum goldnen Prinzen hin und richtet ihm gleich aus,
was sie für die Mutter und das arme Kind getan.
Sie meint „Es ist schon seltsam, doch mir ist richtig warm.“
„Ja, das ist der guten Tat wonniglicher Segen“,
sagt er und da fängt das Schwälbchen an zu überlegen.
Doch der Schlaf, der kecke Dieb, raubt ihr die Konklusion
und dann küsst das Morgenlicht ja ihre Lider schon.
Morgens fliegt die Schwalbe dann zum Flusse um zu baden,
man sieht sie da in großen Pfützen plantschen und auch waten.
Die Schwalbe murmelt vor sich hin „Heut flieg ich nach Ägypten.“
Dann tut sie einen Freudenschrei, einen ganz entzückten.
Sie macht noch einen Ausflug zu den Denkmälern der Stadt
und die Spatzen auf den Dächern loben ihren Frack.
Vom Kirchturm segelt sie, als schon der Mond am Himmel schwebt,
hin zu ihrem Prinzen, der fest darauf besteht,
"Schwalbe, kleine Schwalbe, bleibe nur noch eine Nacht!"
"Ich muss doch nach Ägypten." sagt die Schwalbe mit Bedacht.
"Morgen wollten wir hinauf zum zweiten Wasserfall,
dort kaut das Nilpferd Flusskraut im heißen Königstal.
Memnon, der Koloss sitzt auf dem Thron die ganze Nacht
und wartet auf den Morgenstern, der ihn sehr glücklich macht.
Es gehn zur Mitternacht die gelben Löwen Wasser trinken,
sie haben grüne Augen, die wie Berylle blinken.
Ihr Brüllen, das ist lauter noch als das des Wasserfalles…“
„Schwalbe, kleine Schwalbe, das glaub ich dir ja alles!
Weit von hier, am Stadtrand, seh ich einen jungen Mann,
welcher sein Theaterstück nicht mehr beenden kann.
Er hat krause Haare und Lippen, rot wie Blut.
Gerne hätte er in seinem Ofen warme Glut.
Lieber noch als Feuer wünscht er sich etwas zu essen
und über diese Sorgen hat er seine Kunst vergessen.
Welke Veilchen stehn auf seinem Schreibtisch unterm Dach
und seine feinen Hände sind vor Hunger schon ganz schwach.”
“Eine einzge Nacht noch will ich gern bei dir verweilen.
Hast du einen anderen Rubin, um ihn zu teilen?”
So spricht das kleine Vöglein aus seinem guten Herzen.
“Ich hab nur meine Augen, doch eins kann ich verschmerzen.
Saphire sinds, vor tausend Jahrn aus Indien gebracht.
Eines picke aus und bring es ihm noch heute Nacht."
"Lieber Prinz, das kann ich nicht..." spricht die Schwalbe unter Tränen.
"Mach nur, Schwälbchen, darüber brauchst du dich doch nicht zu grämen."
Darauf pickt die Schwalbe des Prinzen Auge aus
und fliegt zu des Studenten Kammer hoch oben im Haus.
Sie kommt ganz leicht hinein, denn im Dach da ist ein Loch,
Schiesst hindurch, zum Bett und hüpft dann noch zum Schreibtisch hoch.
Sein Haupt, das hat der junge Mann vergraben in den Händen.
So merkt er nicht, wer bei ihm ist, um sein Geschick zu wenden.
Ein Luftzug geht, er sieht den Stein nun bei den Veilchen liegen
Und ruft freudig “Man beginnt wohl, endlich mich zu lieben!
Ein Verehrer sicherlich, von meinen Kurzgeschichten.
Nun muss ich nicht länger mehr auf Brot und Holz verzichten.”
Am nächsten Tage fliegt die Schwalbe noch einmal zum Hafen.
Sie hockt auf einem Mast herum und schaut da auf die braven
Matrosen, wie sie schwere Kisten ziehn an starken Seilen
aus dem Schiffsbauch, um erneut zum Laderaum zu eilen.
Sie bücken sich und schwitzen sehr und schrein wie die Verrückten
"Hebt an!" Das Vöglein ruft zurück: "Ich reise nach Ägypten!"
Doch hört sie niemand und deshalb, als das Licht vergeht,
fliegt sie dahin, wo des Prinzen Schatten sich bewegt.
"Mein Prinz, ich bin gekommen um dir Lebewohl zu sagen!"
"Kleine Schwalbe, kannst du deinen Abflug nicht vertagen?"
"Der Wetterumschwung ist schon da und bald liegt hier der Schnee.
In Ägypten wärmt die Sonne den Manzala-See.
Krokodile liegen träg im Schlamm unter den Palmen.
Meine Freunde bauen jetzt ihr Nest aus Lehm und Halmen
im Tempelhaus von Luxor, wo die blaßroten Tauben,
stets gaffen und frech gurren, es ist ja kaum zu glauben!
Lieber Prinz, ich muss nun fort, ich lasse dich alleine.
Nächstes Frühjahr bring ich dir zwei neue Edelsteine.
Der Saphir soll blauer sein noch als das Firmament,
der Rubin rot wie die Lava, die im Ätna brennt."
"Unten auf dem Platz, da steht ein Streichholzmädchen.
Die Hölzer fielen ihr heraus aus ihrem kleinen Lädchen
in den Rinnstein und so sind sie alle schnell verdorben.
Ihr Vater wird sie schlagen, denn sie hat nichts erworben.
Weinend steht sie da herum, ganz ohne Strümpf und Schuhe.
Ihr bloßes Köpfchen frieret und das lässt mir keine Ruhe.
Picke, kleine Schwalbe, mein and'res Auge aus
und bring es zu ihr recht geschwind, noch auf dem Weg nach Haus."
"Mein Prinz, ich kann verstehen, was du fühlst für dieses Kind.
Jedoch, dein Auge nehm ich nicht, denn danach wärst du blind!"
"Schwalbe, kleine Schwalbe, bitte tu, wie ichs dir sage."
Die Schwalbe nimmt das Auge nun ohne weitre Klage.
Sie lässt den Stein beim Mädchen fallen, in die hohle Hand.
„Hoppla, kleiner Bote, wer hat dich wohl gesandt?
Dieses blaue Glasstück, das sieht ja prächtig aus!“
ruft sie und dann rennt sie, völlig aufgeregt, nach Haus.
Die Schwalbe fliegt zum Prinzen und sie spricht „Du bist jetzt blind.
Darum wirds für immer sein, dass wir zusammen sind.“
„Schwalbe, kleine Schwalbe, nein, du musst nach Süden gehen.“
"Ach mein armer Prinz, das kann nun nimmermehr geschehen.
Ich will von heut an immerdar für dich zugegen sein."
sagt sie und sie schläft erschöpft zu seinen Füßen ein.
Sie sitzt am nächsten Tag dann auf des Prinzen Goldgewändern
und erzählt viel Wundersames aus den fernen Ländern.
Wie die roten Ibisse da stehn in Reih und Glied
und Goldfisch fangen aus dem Nil, der seinen Reichtum gibt.
Von der großen Sphinx, die selbst so alt ist wie die Welt,
die in einer Wüste lebt und schwere Fragen stellt.
Von den Händlern und Kamelen, die den gelben Sand durchschreiten
und den Bernsteinperlenketten, die durch ihre Hände gleiten.
Vom dem Mondberg-König, der so schwarz ist wie die Nacht,
der einen mächtgen Bergkristall bewundert und bewacht.
Von Pygmäen, die auf Blättern über Wasser gleiten
und sich immerfort mit den Schmetterlingen streiten.
Und von der grünen Schlange, die hoch im Palmbaum schläft
und sich von zwanzig Priestern faul mit Honig füttern lässt.
"Schwälbchen, du erzählst mir gar manche Seltsamkeit,
doch geheimnisvoller noch ist wohl das Menschenleid.
Wie des Elends Wunde, so ist kein Wunder tief.
Flieg durch meine Stadt und sage mir, was man dort sieht."
So fliegt die Schwalbe durch die Stadt, schaut wie in den schönen
Häusern dort die reichen Leute ihrem Luxus frönen.
Während dessen Bettler vor geschlossnen Türen sitzen.
Dann sieht man die Schwalbe durch die engen Gassen flitzen.
Die hohlwangigen Kinder starren da mit ihren blassen
Gesichtern teilnahmslos und traurig auf die düstren Straßen.
Unter einem Brückenbogen sind zwei kleine Jungen,
die einander wärmen und liegen, eng umschlungen.
"Wie hungrig sind wir!" rufen sie. "Nicht auf die Wege legen!"
brüllt der Wächter und sie irr'n nach draußen in den Regen.
Da fliegt die Schwalbe zu dem Prinz, setzt sich und berichtet.
Der Prinz spricht zu ihr "Ich bin ganz mit feinem Gold beschichtet.
Löse es nur Blatt für Blatt und schenke es den Kindern.
Weil die goldnen Dinge nämlich Menschenarmut lindern."
Blättchenweise zupft sie nun das feine Gold vom Rumpf,
bis der edle Königssohn ganz grau aussieht und stumpf.
Jedes Blatt des reinen Goldes bringt sie an sein Ziel.
Die Kinder lachen und sie rufen froh bei ihrem Spiel:
"Hurra, hurra, jetzt haben wir endlich wieder Brot!"
und vor lauter Leben glühen ihre Wangen rot.
Dann kommt der Schnee und auch der Frost, sie schmieden Silberbänder,
aus den Straßen und die Menschen tragen Pelzgewänder.
Zapfen hängen spitz vom Dach wie Dolche aus Kristall,
die Kinder laufen Schlittschuh, haben Wollmütze und Schal.
Die kleine Schwalbe friert und friert und doch sie ist geblieben,
denn sie hat sich ihrem Prinzen ganz und gar verschrieben.
Sie stiehlt beim Bäcker Krümel vorm Tore jeden Tag
und wärmt sich heftig flatternd noch mit ihrem Flügelschlag.
Endlich aber wird ihr klar, dass sie nun sterben muss.
Sie schwingt sich auf die Schulter hoch. "Ich geb dir einen Kuss
auf deine Hand und lebe wohl, mein lieber, guter Prinz!"
"Schwälbchen, wie erleichtert mich der Wandel deines Sinns.
Dass du endlich und so spät noch nach Ägypten ziehst.
Und küsse mich nur auf den Mund! Ich weiß, dass du mich liebst."
"Nicht nach Ägypten reise ich, nur in des Todes Haus,
der Tod ist Schlafes Bruder und ich ruhe mich nun aus."
Dann küsst sie den unglücklichen Prinzen auf die Lippen
und die Schwäche lässt sie träg nach hinten über kippen.
Lautlos fällt sie hin zu seinen Füßen in das Weiß
und es ertönt ein Krachen, so wie von dünnem Eis.
Zerborsten ist das Herz aus Blei, es herrscht ja starker Frost
und an einem andern Orte finden sie nun Trost.
Hoch oben, hoch im Himmelreich steht der Prinz auf einem Hügel
und bei seinen großen Füßen ruhn zwei kleine schwarze Flügel.
Besonders weise sieht er aus, mit blauen Augensteinen,
die voll heitrer Sanftmut aus runden Lidern scheinen.
Und auch das Schwälbchen ganz untrüglich,
wirkt als wär es wirklich glücklich.