Sonntag, 21. Juli 2024

Zwei-Seiten-Torheit

Da lese ich die zwei Seiten der Geschichte und denke mir hmm, hmm. Gibt es ein Falsch und ein Richtig? Hmmm, hmm und dann nicke und lächle ich. Wie doch alles ineinandergreift. Papier und Fleisch und Eisen und Stein und Holz (beispielhaft). Liebe böse Freunde, ihr grausamen Kinder! Man kann hinsehen und lächeln, dabei kurz aufstossen oder wegsehen aus dem Fenster, auf die alten Leute mit ihren Hunden. Ich lasse täglich bestimmt mehrere Menschen verhungern, irgendwo, bestimmt denn ich zahle keine Spenden. Aber ich kümmere mich auch um jemanden (bin also nicht wirklich böse). Ich weiss Bescheid. Bescheid wissen kann aber jeder. Weiss auch jeder. Ich würde sogar gern glauben, wenn das nicht so lächerlich schiene. I want to believe. Ich bin auch gebildet, ja, was machen mit der Bildung? Bildung macht doch schwindelig. Schwindelig vor Ohnmacht. So kurz zum greifen nah ist (siehe Nichtabbildung Seifenblase). So klar, so kurz davor. Nur ankommen geht nicht (leider müssen wir Ihnen mitteilen, dass). Ich werde immer schneller, ja produktiv, wenn ichs bedenke (und wehe jemand sagt was anderes). "Platz" (siehe Nichtabbildung Seifenblase). Koffeinträume das alles, rhytmisches Pochen der Schläfen, Zucken der Finger. Zerrinnt in Zahlenkolonnen. Ist nicht vergleichbar, nur ähnlich. Papierausscheidung. Ich sollte Papier essen und mein Essen verschenken. Gib meinem Leben einen Sinn, sage ich. Die weisse Masse sucht in der grauen Masse, dann zuckt (siehe Nichtabbildung Abbildung) und sagt:
'Das wars Solo, man kann doch nicht ewig warten, es kommt da nichts mehr. Nur du gehst. Das sagen wir dir. Du sitzt in einem Treibhaus.'
'Das weiss ich doch,' antworte ich, 'die alten Leute draussen haben Pelze und die Hunde auch, das seh ich doch.'
'Dann geh doch raus!'
'Woraus?', frage ich.
'Kauf dir einen Hund.'
'Ach, das ist es?'
'JA. Der Hund führt dich.'

Fraktale Dekonstruktion

Heute geht es weiter in den Kaninchenbau, oh Freunde. Menschliche Gedanken an sich sind fraktaler Natur. Sie sind selbstähnlich, unendlich und man jagt ihnen hinterher bis hin zur Vergrösserung der Vergrösserung der Vergrösserung (einer Kopie einer Kopie). Wer je Fraktalprogramme benutzt hat, weiss, was ich meine. Der Verstand kennt keine Atome, ist nicht auf die Abzählbarkeit der physischen Welt angewiesen (schliesslich konnte er ja nichts davon wissen). Ist man gefangen im Fraktal, nützt es nichts, "auf der Schulter von Giganten" zu stehen, Grösse spielt da eine relative Rolle. Aber man muss den Mut haben, stehen zu bleiben und hinabzuschauen, ja schwieriger noch hinauf, denn jede Ebene ist recht und gut, wenn man erkennen will, dass man in keine Richtung entrinnen kann, solange man sich nach den Gesetzen des irren Gartens bewegt. Und wie kommt man aus einem Irrgarten heraus? Richtig, man muss Löcher durch die Hecken schneiden. Ein Fraktal hat eine gebrochene Dimension, ist etwas knäuel-, schwamm- oder ornamentartiges. Es versucht, eine bestimmte Fläche oder Raum auszufüllen. Dieser Raum kann, Ebene für Ebene, grobschlächtig mit Pfählen abgesteckt werden. So machen es die formalistischen Optimisten. Und so macht es die atomare "Realität". Ob in dieser Approximation Wahrheit liegt, ist irrelevant, denn die Wahrheit ist möglicherweise genau jener seltsame Attraktor, dem es zu entkommen gilt. Mit diesen Pfählen nun haben sie Koordinaten und Abstände und können schauen, wie gross ihr Gigant wirklich ist. 

Samstag, 20. Juli 2024

Weckruf eines Erstarrten (Rico's Edit)

Folgend eine Umdichtung bzw. eine Variation des gleichnamigen Gedichtes von Volker Grieß aus seinem Buch "Gezeiten der Wandlung: Gedichte für Menschen auf Wegen der Initiation". Er möge mir den Eingriff verzeihen. Wenn ihr auf das das Original gespannt seit, könnt ihr dem Link folgen und sein Buch erwerben. Es lohnt sich! Dem Stoiker sei auch das Gedicht "Die heitere Schildkröte" empfohlen. Ihr findet es in diesem Gedichtband auf Seite 28. Aber nun zum "Weckruf":


Wir, die aus den Wochenkrippen
zu Walen wuchsen, die nicht schwimmen:
Sind wir bereit, die scharfen Klippen,
des Schmerzes bis zur See zu klimmen?

Es schimmerte des Meeres Busen
von weit her, als wir schwach und klein.
Als könnte nicht auf unser Rufen
das Leben und das Werden sein.

Wir sind, wenn Liebe sich entfaltet,
wie eingefror'n im stillem Schrei.
Die Schönheit öffnet sich, uns spaltet
es im Innern tief entzwei.

Bleib jetzt Bruder, bleib jetzt Schwester!
Komm sei mutig, lass dich ein!
Welch ein Wunder wäre es,
im Wasser und ein Wal zu sein.


Mittwoch, 17. Juli 2024

Das Kroko und die Ventildrossel Teil 9

Über die Rückreise soll nichts weiter berichtet werden. „Machs gut, Kumpel. Pass auf dich auf." sagte Paketmann zum Abschied. Dem Grünling entrollten ein paar Krokodilstränen. Kroko kam anhand der Frachteinträge wieder in seinen Zoo zurück und da war der August doch ganz froh, denn das Kroko war, ohne das er es erkannt hatte, zu einem Publikumsliebling geworden und viele hatten schon danach gefragt. Jedoch kam es in einen Einzelkäfig mit Aufschrift „Streicheln auf eigene Gefahr", was noch mehr Besucher veranlasste, es zu besuchen, wenn auch weniger, um es zu streicheln. Und seine Lichtshows wurden der Hit.

Doch Nachts war es sehr einsam und es dachte oft an das Drosseli und auch an Paketmann und konnte nicht schlafen. Das Drosseli hatte inzwischen einen Schnapsdrosselrich geheiratet. Dieser betrog sie aber häufig mit einer Blaumeise. Nun fiel einige Male Herbstlaub und die Nachtigallen sangen, bevor der Staat, in dem sich der Zoo und der Sumpf befand, strengere Artenschutzgesetze heraus gab und der Zooleiteraugust musste sich von vielen seiner Insassen trennen, auch von dem Drosseli und dem Kroko, die zu ihrem Sumpf zurückkamen. Das war eine Freude beim Wiedersehen am Sumpfesrand!

Das Kroko machte wieder Handstände und Purzelbäume und Drosseli surrte durch die Gegend wie verrückt, dass die Schallmauern nur so purzelten. Dann verschwanden die beiden im Nebel, mit Licht und heftigem Geklapper natürlich. Und der Kobold Nickel, der doch gar nicht so böse war, sondern nur eine unpassende Frau geheiratet hatte, die auch nicht böse war, sondern... nun ja der wurde zum Ranger für den Sumpf erklärt und das Umliegende und passte nun auf, dass keine Strolche mehr kamen und Tiere entnahmen. Das Kroko und das die Ventildrossel lebten nun wieder friedlich im nebeligen Sumpf und wussten, was ein Zuhause wert sein kann, weil es mehr ist als nur eine schöne oder nicht schöne Gegend, sondern vertraut. Doch ab und zu gingen sie mit den Trommelhasen auf Tournee und konnten sich für die Drossel einen Radarhelm leisten, damit sie nicht mehr im Nebel gegen die Bäume flog. 

Ende

Das Kroko und die Ventildrossel Teil 8

So lebten beide einträchtig eine ganze Weile. Bis Paketmann eines Abends freudestrahlend mit einer Holzkiste angelaufen kam, die schon reichlich vergammelt aussah. „Guck mal, was ich hier gefunden habe, grüner Freund!" Ächzend stellte er die Kiste in den Sand, drinnen klirrte es. Paketmann lupfte den Deckel, drinnen waren lauter bauchige Flaschen. „Bester Jamaika Rum! Ich habe eine Höhle in den Felsen gefunden und da stand das Zeug rum." „Weißt du, dass das Rum früher geschmuggelt wurde? Vielleicht gab es hier sogar Piraten mit Holzbeinen und Hakenhänden oder Augenklappen". Paketmann spielte Pirat, er humpelte durch den Sand und krähte „Auf, Kameraden, entert die Prise! Tod und Teufel!". Kroko schüttelte den kopf. Wie peinlich Ronnie manchmal sein konnte. „Das muss gefeiert werden." Paketmann entstöpselte eine der Flaschen. „Hoch die Tassen!"

In der nächsten Zeit war Paketmann oft nicht mehr ansprechbar. Entweder torkelte er am Strand entlang. Oder er hüpfte mit der Flasche um das Feuer und rief: „Die Hühner tun es! Die Hühner tun es! Die Hühner, jaaaha.." und so weiter und dann kicherte er immer so eigenartig. Waren da etwa bunte Kröten drin in den Flaschen? Kroko vermutete es. Bald hatte Ronnie keine Augen mehr für das Kroko, nur noch für seinen Rum und Kroko verzog sich wieder ab in den Sumpf. Fische brachte es auch keine mehr. Sollte der doch sehen wo er blieb, am besten bei seinen Hühnern. Aber wie man sich das natürlich vorstellen kann, war der Schnaps irgendwann alle und das war auch keine gute Zeit für Paketmann.

Und als das Kroko eines Tages mal wieder von einer Erbebung geängstigt zum Lagerplatz floh, fand es dort nur noch Reste und niemand war mehr da. Da wurde es traurig und kam sich verlassen vor. Doch nach einer Weile betretenen Umherwanderns fand es einen Pfad und es erinnerte sich an die Höhle, die Ronnie erwähnt hatte. Nun war der Weg nicht schwer zu finden. Und so fand es den Menschen abgemagert und krank und zitternd darumliegend. Mit einer Mischung aus Reue und Genugtuung machte es sich an die Arbeit und brachte Paketmann mit Futterkokosnüssen soweit wieder auf die Beine, dass er sich selber weiterhelfen konnte.

Dann wurde alles wieder gut und eines schönen Tages, an dem Kroko schon einen Reiher gescheucht hatte, nachdem es sich lautlos angeschlichen und dann geknurrt hatte und Paketmann es mal wieder veralbert hatte , indem er behauptet hatte, „Da kommt die letzte Welle!" und beide gerade in der Mittagshitze dösten (das Kroko mit aufgerissenem Maul), kam tatsächlich ein Schiff an. Paketmann guckte erst blöd, als käme er sich vergackeimert vor „Ich glaub, mein Hamster bohnert!", dann aber war er wie ein geölter Blitz unterwegs, so schnell, dass das Kroko blinzeln musste, und rief und winkte und lachte. Gemächlich watschelte das grüne Viergebein hinterdrein. Erstmal „sehen, was die Flut da angespült" hatte. Diesen Satz hatte es von Paketmann in letzter Zeit oft gehört. Auf dem Schiff waren Männer, die an Land kamen und sich als Ranger ausgaben. Sie fragten Ronnie, was er hier zu suchen hatte und behaupteten, es wäre gefährlich, fremde Tierarten hier auf dem Somoruarchipel einzuführen. Nun, Paketmann erzählte seine Geschichte.

Das Kroko und die Ventildrossel Teil 7

Warte mal..." Paketmann kramte in seiner Westentasche. „dacht ich mirs doch! hah!" Mit diesen Worten zog er ein längliches lila Dingsda mit silbrigen Ende hervor. „Feuerzeug, immer dabei!" Zzzoschh, sprang ein kleines Flämmchen hervor und Kroko wich zurück. „Brauchst keine Angst haben, das Feuertier ist ein Freund, wenn du es bei kleiner Speise hältst. Mal sehen, ob das Zeug hier brennt." Und sobald Paketmann den Finger vom Feuerzeug nahm, verschwand auch das Feuertier wieder darin. Paketmann sprang auf und sammelte ein paar trockene Palmwedel zusammen. Die brannten dann auch lichterloh und verschickten beißende Glühwürmchen. Kroko ging vorsichtshalber noch ein Stück weg. Doch sehr lange brannten sie nicht. „Mist, da muss ich noch weiter inseleinwärts, richtiges Holz holen, aber heute nicht mehr. Gute Nacht, mein Bester !" Paketmann zog sich in seinen gelben Pavillion zurück. Ein wenig später wälzte sich Kroko in der warmen Asche. Dann ging es wieder auf Wanderschaft über die Insel. Dabei wurde es durch einen heiseren Vogelschrei erschreckt. Das war der Ruf des Kokoskäuzchens, dass auf Beutezug ausflog. Da versteckte sich das Kroko doch kurz im Unterholz. Dann kroch es über Steine, mächtige Wurzeln und schwamm durch kleine Teiche. Alles war dicht be- und überwachsen. Stachelige Igel kreuzten schnaufend seinen weg. Fledermäuse flatterten hoch oben vorbei. Im Morgengrauen kam es wieder zurück zum Lagerplatz und duselte ein.

Am nächsten Morgen bekam es als erstes eine Ladung Sand ins Gesicht. Neben ihm brodelte der Boden. Wupps, noch eine Ladung. Kamen da die Kokosnüsse her? Aus dem Sand? Aber dann kam ein kleiner Reptilienkopf mit lustigen schwarzen Äuglein zum Vorschein. Na, klar, dass Kroko da nicht gleich drauf gekommen war. Die hiesigen Krokodile schlüpften. Oder doch keine Krokos? Noch mehr Köpfchen kamen heraus und dann krochen die kleinen Racker ganz aus dem Sand. Die runden Panzer auf dem Rücken, das waren ganz klar Schildkröten. Die so fertig aus dem Sand gekrochenen watschelten ohne Verzögerung Richtung Meer, wobei sie oft das Gleichgewicht verloren und Purzelbäume machten. Und da waren sie plötzlich, grosse rote stieläugige Landkrabben. Hässlich wie die Nacht und verfressen. Lautlos im Seitwärtsgang schlichen sie sich zur leichten Beute. War denn keiner zur Bewachung da? Tsss tsss. So eine Schluderei gab es bei Krokodilen nicht. Weil wirklich keiner weiter da war, zeigte das Kroko den Krabben die Harke, und schnappte, so gut es eben ging. Das war gar nicht so einfach, denn allzu groß war das Kroko nicht und die Scheren konnten höllisch zwicken.

Die kleinen Schildkröten waren viel zu langsam. „Krabben, wunderbar, gerade richtig, ich habe ein neues Feuer gemacht." Paketmann bückte sich „Whoa, da brauchen wir Schnur. Du glaubst nicht, was so eine Rettungsinsel alles dabei hat". Ronnie sprintete kurz weg, kam aber gleich mit einer Leine zurück, mit der er den Krabben einzeln die Scheren am Panzer festband und die Krabben dann aneinander. So konnte das Kroko die Schildkrötlein ins Meer begleiten und Ronnie bekam eine weitere Mahlzeit. Im Wasser kamen die Panzerpaddler erstaunlich gut zurecht. Sie schwammen anders als das Kroko nicht mit ihrem Schwanz, sondern mit ihren Beinchen. Mann, hier im Flachwasser war aber überhaupt was los.

Überall zischten kleine Fische umher. Und weiter meerauswärts, zwischen den scharfkantigen Korallen gab es auch grosse Fische. Und Tentakel- und Stacheltiere. Die Fische waren bekömmlicher als die bunten Frösche und auch Paketmann bekam welche ab. Wegen der Hitze am Tage schlief der Grünling meistens dann, wenn Paketmann wach war und ging nachts jagen, auch wenn das wegen der streitlustigen Tintenfische mit ihren tischtennisballgrossen Augen nicht ungefährlich war.

Donnerstag, 11. Juli 2024

Rio de Chauvineiro oder Emanzonas ?

Noch so ein älteres Gedicht von meinereiner:

Ein mutig Fischlein sprang hinein,
in den Himmel, Sonnenschein.
Entging so einem Haubentaucher,
dieser war sein Endverbraucher.
Doch als schuppig Fisch als nasser,
fiel es wieder in das Wasser.

So nach vier fünf Blasen stumm,
ging es ihm im Kopf herum:
Wieso konnt der Vogel schwimmen,
es aber selber nicht erklimmen,
der kühlen Frischluft zarte Balken?
Was war von diesem Zeug zu halten?
Als nächstes war ein Otter dann
an dem armen Schuppling dran.
Nur, sobald das Wasser seichter,
ging es auch nicht vorwärts, leichter.

Und als es die Plage sätter,
nahm es sich zwei Segelblätter,
aus dem Schilf und stieg hinauf
und so nahm es seinen Lauf,
dass das Fischlein fliegen lernte,
bald von weissen Wolken schwärmte,
und des Himmels Buntgefieder,
auch auf Bäumen saß es nieder.
Wiegte sich in güldnen Strahlen
und des Mondes Silberschalen.
Kam als Backfisch dann und wann
wieder bei den Eltern an.

Mittwoch, 10. Juli 2024

You're safe until the fire starts

 

(Diesen Text habe ich aus meinem alten Blog "Froschtümpel" übernommen, Foto und Titel stammen von dieser Quelle.)

Szenerie Eins: Wieder sitze ich in einem Käfig, der ist in einem grossen, leeren Saal, Geräusche und bunter Nebel fliehen von irgendwo. Dann setzt sich eine Raucherin vor mich und erschüttert mich mit ihrem Nikotin-Nihilismus. Gar nichts sei als man selbst, und das könne man alles ändern. Es gäbe das Feste ERST nach der Beule. Sie gibt mir ihre Zigarette für das Schloss. Es gäbe auch keinen Nutzen, keinen Sinn, nur Emotionen. Tu was du willst. Weg mit mir, mit dir, keine Bilder mehr jetzt. Sei ein wildes Tier. Der Käfig brennt.

Szenerie Zwei: Ich hab es geschafft, die Feder ist überspannt und gebrochen. Nutzlos klimpert sie im Abwärtsgang. Auf schiefer Ebene fahre ich hinab mit schwerer Fuhre. Der Motor bremst und läuft heiss. Metallischer Geruch drückt die Brust. Funken blitzen, die Hülle zerfällt, die Räder springen, hulahopp, hopp, hopp. Alte Tonbänder spielen, eine Puppe weint im Rauch. Ich bin wach, hellwach, das Wasser ist kalt, die Optik kristallklar, Wale singen mir ein Schlaflied. Doch ich kann nicht schlafen, ich muss noch weit gehen. Mit einer Fussfessel, an der Kette, an der Kugel.

Szenerie Drei: An einem Bootssteg am Fluss halte ich an, knie nieder und tauche einen Finger in den Strom. Das Wasser weicht meinem Finger, umfliesst ihn. Die Trennung ist schmerzlich, ich werde traurig. Warum berührt das Wasser mein Innerstes nicht? Gedanken wandern... Weil keine Öffnung dem Element Einlass gewährt? Von dieser Idee freudeerfüllt schöpfe ich beide Hände voll und will schon trinken. Plötzliches Grauen erfüllt mich. Was, wenn Gift darinnen wäre?

Szenerie Vier: Eine weisse Ebene. Ich fühle mich einsam. Ich sehne mich nach meinem Käfig, während sich unter mir schon alles in Falten zieht. Das ist die Ziehharmonika des Lebens (mal ist es lang, mal ist es kurz). Eine laute Melodie. Auf einer wuchtigen Bassnote fliege ich davon. 

Montag, 8. Juli 2024

Herr Blattschuss folgt seinen Trieben

Der Herr Blattschuss wacht morgens auf und ist schon mürrisch drauf. Das ist sonst nicht so, aber heute. Er weiß heute ist der Tag, an dem er seinen eingetretenen literarischen Pfad verlassen muss. Sein Doktor hat ihm das ans Herz gelegt, denn dem Herrn Blattschuss steht eine Verblödung ins Haus. Herr B. ist süchtig nach Arztromanen. Die verschlingt er zum Frühstück, Mittagessen und Abendbrot.

"Der Körper liest mit, Herr B." hat der Arzt gesagt. "Sie müssen ihren literarischen Pfad verlassen und auch mal was Gesundes lesen. Gedichtbände zum Beispiel, ja und Erstausgaben erfolgloser Schriftsteller. Die ersten werden die letzten sein, kleiner Scherz, haha, auch Antiquarisches, das ist sehr gehaltvoll, jaja. Schriftsteller war damals noch eine Berufung und kein Beruf, hören sie, Herr B.! Die armen Teufel sind dutzendweise für ihre Ideale in die Kiste gesprungen. Solche ballasthaltige Kost brauchen sie. Nicht den aalglatten Konfekt von Schwester Brunhilde und ihrem ähh, Doktor."

So denkt Herr B. an den letzten Termin und merkt nicht mal, dass er beim Ankleiden die Mütze falsch herum aufsetzt. Draussen regnet es, bald wird es auch schneien. Sorgenvolle Gedanken schieben sich, dicken Raupen gleich, durch seine Morgenwelt. Die muss er loswerden, also dackelt er noch mal in die Praxis, mit verdrehter Mütze und verdrehten Gefühlen.

"Neues ist gefährlich" händeringt Herr B. "Ich habe von spontanen Geisteszuständen gehört. Manche Leute sollen danach herumgelaufen sein und von Niveau geredet haben. Genie und Wahnsinn sollen dicht beieinander liegen, ja auf offener Straße miteinander schmusen, Herr Dokter. Einer soll gesagt haben, verkehrt herum gelesen mache das Buch erst Sinn! Er las ein Telefonbuch Herr Dokter. So was macht mir Angst. Soll ich nicht lieber auf Liebesromane umsteigen? Die regen bestimmt an, ja?"
"Nein, Herr B., das sind Gerüchte, nur so leer gedroschenes Stroh. Leben sie die Vielfalt. Auf einen Hesse können sie schon mal ein lustiges Taschenbuch folgen lassen."

„Da fällt mir aber ein Stein aus der Niere, Herr Dokter, Sie machen mir richtiggehend Lust auf die Avantgarde.“ Gesagt getan. Herr B. schlägt sich wohlfeil ins wilde Gebüsch, dass die Federfuchser da so struppig wuchernd in die platte Landschaft kippen. Nachdem er die ausgetretenen Straßen des Mainstreams hindurchgehüpft ist und nur verächtlich gelacht hat über all die müden Socken, die Dünnbrettbohrer, die immer nur den Weg des geringsten Widerstandes gehen und nicht weitergehen wollen, stehenbleiben bei eilig zusammengenagelten Mythenfetzen und staunend den immer wieder selben Sensationen nachgeifern, weil sie das Langzeitgedächtnis schon lange für ein Mitspracherecht unter ihresgleichen eingetauscht haben.

Was für ein plumper, rückratloser Bückling er gewesen war. Er hat die schönen einsamen Früchte nicht gesehen, die abseits des Weges unter schweren Dornen reifen! Doch jetzt kämpft er sich vorwärts. Schon bald hat ihn kein Mensch mehr gesehen. Er schmaust Festmähler jenseits aller Vorstellung. Er hat sich ein Haus errichtet mit einem Fundament aus Folianten noch aus dem Zechstein und Dachschindeln aus Anthologien. Eine Tür ganz aus Grimoires mit Bannsprüchen gegen Heyne, Bastei und Co. Er hält sich sogar eine kleine bissige Streitschrift in einem Zwinger aus Lehrbüchern.

Doch ach, es sollte ihm nicht gut ergehen. Schon bald fängt Herr B. an, zu interpretieren, mit sich selbst zu hadern, zu reflektieren und zu sinnieren und zu philosophieren und der ganze Zirkus. Nach einem russischen Revolutionswälzer ist Herrn B. vier Wochen schlecht. James Joyce bringt ihn schließlich auf die Intensivstation.

"Abwechslung, Mann! Um Gottes willen!", stirnrunzelt der Arzt. Herr B. blickt ihn gequält an. Er kann nicht mehr anders, nie mehr will er zurück gehen in diese schalen Niederungen des immer wieder kehrenden Dummseins. "Wer einmal aus dem Blechnapf fraß, haarrrgh!", ächzt er und schießt sich mit einem Traktat über "Irrationale Logik" ins Nirwana. Später dann hat man ihn ganz locker auf Telefonbücher umstellen können. 

Donnerstag, 4. Juli 2024

Gehirnfernsehen

1.

Ich sitze in einem abgedunkelten Raum mit Bildschirmen und warte auf den Doktor. Mein Kopf ist verdrahtet und schwer, ich betrachte mein Gehirn im Schnitt. Dreht man am Knopf, fährt die Kamera glatt durch die Windungen, bis zwei weisse Augenbälle erscheinen. Das sieht gruselig aus, wie ein Marsianer. Dieses graue, vergnubbelte Ding mit den 2 Geleebällen ist mein Ich, nein oder war ich vor 10 Minuten, war ich das wirklich? Hätte man mir ein anderes Ich reingeschmuggelt, zack-reingebeamt würde ich das merken? Neenicht. Menschen sind oft nicht dass, wofür man sie hält, denke ich und frage mich, ob das auch für mich gilt... Velleicht haben irgendwo Leute ihren Spass mit Persönlichkeitszapping, bei launischen Typen wird einfach öfters gezappt.

Ich drücke gerade noch ein paar Knöpfe: Wasmachtdaswasmachtdaswasmachtdas? Irgendwie fühle ich mich nun anders. Wer bin ich, wo bin ich? Warum habe ich Hunger auf Regenwürmer?
"Tut mir leid, an sich selber dürfen Sie nicht rum spielen..." Eine Hand legt sich schwer auf meine Schulter. Das Gesicht dazu kann ich nicht sehen, es liegt im Dunkeln, verdammt, was... "Sooo, das Backup drauf gespielt..., alles klar?" Zzzippp. Muss wohl eingenickt sein. "Ach ja, klar, Herr Doktor, ich hab hier schon mal auf sie gewartet." "Kein Thema, also dass hier sind Sie..."

2.

Seit ich von meinem Arzt so Glückspillen bekommen habe, berührt mich der Libanonkrieg im Fernsehkasten gar nicht mehr so. Erst sehe ich einen Fahrradfahrer, den eine Katjuscha vom selbigen geholt hat, nur die Füsse sind noch übrig. „Sauberer Schuss“, denke ich. Dann ein Schiff mit Flüchtlingen, dass nach Zypern fährt „Da wollte ich auch schon immer mal hin, toll.“
Ich nicke kurz ein. Bob Geldorf weckt mich und sagt mir, dass im Sudan auch diese Nacht wieder tausende Kinder auf der Flucht sind und wünscht mir einen geruhsamen Schlaf.
So ein netter Mensch. Ich lächle still in mich hinein. Die Nacht ist dann wirklich ausgezeichnet.

And I find it kind of funny
I find it kind of sad
The dreams in which I'm dying
are the best I`ve ever had


Ich wache auf. Erst ein wenig Müsli, dann die gute Tablette. "Reis and Schein!", wie der Engländer sagt. Mir wird kurz schlecht, dann kalt und heiß und dann geht es wieder. Dann pumpe ich das Fahrrad auf und radle los. Mir wird gar nicht bewusst, wie sich die Landschaft verändert. Lauter ocker Steine, auch Dreck und noch mehr Steine um mich rum. Verdammt heiss auch, Steinofen! Endlich ein paar Gebäude, seltsam, keiner da. Doch, Ziegen. „Mäh!“ grüße ich. Die schlackern mit den Ohren und kauen echt unbeeindruckt. Ein schrilles Pfeiffen schreckt mich auf, dann fliegt etwas großes Dunkles auf mich zu und es wird Nacht.

Die Apfel- und die Birnbäume erblühten,
Nebelschwaden lagen über dem Fluss,
da ging Katjuscha hinaus aufs Ufer,
auf das hohe, steile Ufer
.“

Noch ein Erwachen. Vor mir liegt ein Sack, der mir erzählt er käme von Care und enthielte Weizenmehl. Sauber. Mehlbomben auf Zivilisten.
Das Säcke reden können, ist mir seit längerem bekannt, sollte aber allgemein verboten werden.
Ich sehe einen Mann mit blauen Helm auf mich zulaufen. „Tut mir leid, ist mir aus der Hand gerutscht“ „Ein Mehlsack?“ „Scheiße, nein, Mörtel!“, lacht er. Alles verändert sich wieder.
Ich liege neben einem Baugerüst in der Witzlebenstrasse. Naja.

3.

Ich bin krank. Ich habe eine Missverständnislücke. Aber was fase ich da. Ich denke, jeder macht was aus dem andern. Der Ton rutscht langsam herunter, er ist zu dünn, zwei Finger breit. Die Welt als Hörbuch. Alles klimpert so schnell vorbei wie ein Postkartenständer, aber viel zu schnell und ich soll mir was raussuchen. Aber ich will nicht wirklich die Hand da rein stecken.
Das tut bestimmt weh. Ach ich hab's, ich nehm den Fuß! Wah, was für ein Schlamassel. Jetzt regnet es Ansichten.

Ich nehm nun keine Pillen mehr vom Arzt, die machen mich duhn. Die stapeln sich jetzt im Schrank immer höher, ja sie quellen schon heraus und liegen im Zimmer wie Sand. Manchmal bin ich Dagobert und tauche hinein. Schaumkronen chemischer Freude rasseln über den Balkon.

Von den Siechellen habe ich einen Eimer gestellt, einen rot emaillierten. Zum Sonne einfangen, für die Brille und für die Frösche aus dem Schwimmpool, das Blau kommt vom Curacao, wie man weiss. Goldbrassen setzen auch Segel. Sie schauen sich die Kacheln von unten an und ich fang Fang locker vom 5 Meterkickboard aus, rollend. Easy! Und dann dreht sich das alles um 360°? Ach Sonnenwende. Leise geht der Mond zu Grunde. Das kommt vom Gold! Morgens nicht in den Mund nehmen! Was dann? Regenwürmer?

4.

Den Hunger auf Regenwürmer verspüre ich immer noch ab und an. 

Jugendsünde

War einst ein Marionettenmann,
hing an seinen Zwirnen dran.
Den Lenker suchen er getraut,
ach hat da nur ein Kind erschaut.

Wenn ich keine Fäden hätt,
grübelte der Marionett,
wär jeder Tag voll Sonnenschein
und ich trüg mein Kreuz allein.

Könnte eigne Zügel lenken
von Leuten, die nicht selber denken.
Riss sich los, doch seine Achsen
warn der Schwerkraft nicht gewachsen.

Er fiel hin mit lautem Krachen
auf den Boden der Tatsachen.
Jetzt nur weiter, ganz allmählich,
dachte sich der Holzkopf fröhlich.
Lernt nun laufen Tag für Tag,
ein famoser Puppenschlag.